Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nele Paul - Roman

Titel: Nele Paul - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Birbaek
Vom Netzwerk:
hörte erst wieder auf, als Mor den Kopf aus dem Küchenfenster steckte und ihm einen Mor-Blick verpasste. Die Hupe verstummte schlagartig. Er hatte Schiss vor ihr, es war der reinste Genuss. Als wir zehn waren, hatte er mich dazu verleitet, ein Mofa zu klauen, nichts Schlimmes, bloß jugendlicher Spieltrieb. Wir waren erwischt worden. Mor hatte ihn sich pädagogisch wertvoll zur Brust genommen und ihm ein paar Dinge erklärt. Ich erinnerte mich, sie brüllen zu hören, dass sie ihm seinen kleinen verlausten Arsch aufreißen würde, sollte er ihren Sohn je wieder in irgendwas Illegales verwickeln. Seitdem schien er jedes Mal wieder zehn Jahre alt zu werden, wenn sie ihn strafend anschaute. »Gut, ich geh dann mal.«
    Ihre Augen funkelten.
    »Bis später.«
    Ich ließ sie widerstrebend los und ging auf den GT zu. Die Beifahrertür flog auf. Kaum rutschte ich auf den Sitz, schon befanden wir uns auf der Landstraße. Steven Tyler schrie mich an, dass er seine Augen nicht schließe, weil er nichts verpassen wolle. Ich wusste genau, wovon er sprach, dennoch drehte ich ihn leiser und sah Rokko an.
    »Was soll der Scheiß? Kannst du sie nicht mal grüßen?«
    Er starrte schweigend durch die Frontscheibe, auf der Suche nach einer Lücke im Gegenverkehr.
    »Hallo? Du sprechen?«
    Er sagte nichts, und ich kannte den grimmigen Zug um seinen Mund. Rokko schmollte. Keiner verstand ihn. Niemand half ihm. Er war John Wayne. Er musste ganz alleine durch Feindesland. Alleine gegen alle Rothäute. Letzte Chance für die Zivilisation. Bloß, dass die Indianer die eigentliche Zivilisation waren und die Cowboys Terroristen, aber für solche Feinheiten war er nicht zu haben.
    »Hast du dich bei Anita entschuldigt?«
    »Kümmer dich um deinen eigenen Scheiß.«
    »Herrje, du Depp, das ist mein Scheiß. Wenn Anita mit einem anderen Typen ankommt, legst du ihn glatt um, und dann muss ich dich verhaften, und dann hab ich niemanden mehr, der mich zur Arbeit fährt.«
    Er entdeckte eine Lücke, trat aufs Gas, schoss auf die Gegenfahrbahn und scherte mit dem GT so knapp vor einem Vatti mit Hut ein, dass man von einem Autodach aufs andere hätte springen können. Nach einer Schrecksekunde legte Vatti sich auf die Hupe. Rokko stellte sich auf die Bremse, der GT schlingerte kurz, bis er in der Sekunde beschleunigte, wo Vatti uns hinten draufgefahren wäre. Rokko schloss zu der nächsten Barriere auf und suchte wieder nach einer Lücke. Ich drehte mich im Sitz und warf einen Blick aus dem Rückfenster. Vatti schien noch zu atmen. Ich wandte mich wieder nach vorne.
    »He, wusstest du, dass John Wayne homophob war? Er legte die Indianer nur um, weil sie halb nackt waren und so rattenscharf aussahen. Ein echter Reaktionär.«
    Er drehte die Musik voll auf. Steven Tyler predigte jetzt Liebe im Fahrstuhl und blühte auf, wenn es hinabging, aber auch für solche Feinheiten war Rokko nicht zu haben, zuerst musste er alleine durch die Wüste reiten. Erst, wenn er halb verdurstet eine Wasserstelle gefunden und diese von Feinden gesäubert hatte, würde man wieder vernünftig mit ihm reden können.
    Ich lehnte mich in den Sitz zurück, schloss die Augen und versuchte, mich an mein Leben ohne Nele zu erinnern. Es ging nicht. Vorgestern war zu lange her.

    »Polizeinotruf.«
    »Hallo, bin ich bei der Polizei?«, fragte eine Frau.
    »Nein, bei der Polizei bin ich. Sie sind irgendwo da draußen und telefonieren mit Ihrem Handy.«
    Es blieb still in der Leitung. Ich konnte die Frau atmen hören. Also gut.
    »Polizeinotruf.«
    »… Äh … ja, also ich bin hier in dem Laden. Drei Jugendliche waren gerade hier!«
    Die Frau klang empört. Ich schätzte sie auf etwa vierzig.
    »Und weiter?«
    »Na, was wohl! Die haben mich angemacht!«
    »Was wollten sie denn?«
    »Ja … Geschlechtsverkehr?«
    »Verstehe. Und wo sind sie jetzt?«
    »Na, hintenrum. Umweltschutz, denke ich mal so. Ich muss jetzt aber auch weiterarbeiten.«
    Die Leitung war tot. Wenn mich mal Versteckte Kamera hochnehmen würde, ich würde es nicht merken. Es gab einfach zu viele verwirrte Menschen. Vor allem bei dieser Hitze. Trotz offener Fenster und Türen lag die Temperatur im Kabuff bei gefühlten vierzig Grad, was vielleicht der Grund war, dass Mattes die Nerven verlor. Normalerweise sauste er an uns vorbei, um schnell nach Hause zu kommen, doch heute blieb er in der Tür stehen und verteilte der Welt einen Rundumschlag. Zum einen sollten wir endlich anfangen, unseren Arbeitsplatz aufzuräumen,

Weitere Kostenlose Bücher