Nele Paul - Roman
Montag zur Brust zu nehmen, denn es konnte sich nur um Benni handeln, Sohn eines Bauern, der durch EU-Subventionen Millionen abgezockt hatte und jetzt den Typ von Welt raushängen ließ. Benni würde später viel Geld erben, und dieses Wissen hatte seinen Charakter frühzeitig verformt. Er troff nur so vor Herablassung all jenen gegenüber, auf die kein so üppiges Erbe wartete, hielt sich zugleich für ein Sprachrohr der Unterprivilegierten, einen echten Getto-Rapper. Jeder der Kollegen hatte sich bereits jetzt schon vorgenommen, später einen Großteil seines Erbes in Bußgelder umzuwandeln. Damit würde ich früher anfangen als erwartet.
Als wir die Küche betraten, hob ein Schmeißfliegenschwarm summend ab und schwirrte wütend herum. Nele trat stöhnend zurück. Ich ging an ihr vorbei und besah mir die Sache. Auf der Spüle stapelte sich Geschirr. Alles war mit Schimmel übersät. Auch hier hatte Getto Gangsta seine Meinung zu Schlampen und toten Bullen kundgetan. Neben der Tür war ein Loch in der Wand, man konnte direkt ins Wohnzimmer gucken. Nele verschwand wieder dorthin, während ich das Küchenfenster aufstieß und damit circa eine Million Fliegen in helle Panik versetzte. Eine halbe Million summte wütend auf Nimmerwiedersehen nach draußen in die Sonne, die restlichen beschlossen wie Projektile durch den Raum zu schießen und dabei möglichst viel Krach zu machen. November kam in die Küche gelaufen und legte mir die nächste Ratte vor die Füße. Es fehlte die Hälfte.
»Danke schön.«
Er lief wieder nach draußen. Ich kickte die halbe Ratte in eine Ecke, wo Nele nicht gleich drüber stolpern würde.
»IGITT!«, rief sie von irgendwo.
Ich folgte der Stimme und fand sie vor der offenen Badezimmertür. Sie lehnte an der Wand und hielt eine Hand über Nase und Mund.
»Lass mich das machen«, sagte ich und drängelte mich an ihr vorbei.
Der Gestank in der Küche war nichts verglichen mit dem Aroma im Bad. Allem Anschein nach waren die Jugendlichen keine Freunde der Klospülung gewesen. Ich drückte auf den Knopf. Die letzte Hinterlassenschaft verschwand in die Kanalisation, aber es lief kein Wasser nach. Ich drehte probehalber an den Wasserhähnen, ohne dabei mehr zu produzieren als quietschende Geräusche.
»Wenn der Anwalt Strom bezahlt, zahlt er doch bestimmt auch Wasser, oder?«
Nele lugte vorsichtig herein.
»Vielleicht ist es abgestellt.«
Ich riss das Fenster auf. Die Sonne knallte fast schon obszön in den Raum und verkündete die Wahrheit: Das Badezimmer war vollkommen zerstört. Hier hatte jemand seine Wut ausgelassen. Die gläserne Duschkabine war ebenso zertrümmert wie das Waschbecken und der Spiegelschrank. Im Boden der Badewanne war ein Loch. Hauptsache kaputt. Merkwürdigerweise gab es hier keine Fliegen. Vielleicht hatten sogar Scheißhausfliegen ihre Grenzen.
Nele lehnte am Türrahmen und ließ ihren Blick durch den Raum schweifen.
»Wer macht so was?«
»Jugendliche. Zu viel Zeit, zu wenig Hirn.«
Ihr Blick blieb an der Wanne hängen, sie atmete schwer. Ich ging zu ihr und nahm sie in den Arm. Sie lehnte sich an mich.
»Das war mal mein Zuhause …«
Ich knirschte mit den Zähnen. Dafür würde der kleine Scheißer büßen.
Wir verließen das Badezimmer und zogen die Tür hinter uns ins Schloss. Nach dem Gestank im Bad war der Geruch im Wohnzimmer fast erträglich. Ich verschaffte mir einen Überblick. Ich ging in die Küche und besah mir das Loch inder Wand. Sie bestand aus Rigipsplatten, deren Zwischenraum man mit Zement, Schutt und Isoliermaterial aufgefüllt hatte.
»Hm. Die Wand ist eh nur ein Trennelement. Man könnte sie ganz raushauen, dann hätte man eine offene Küche, und das Wohnzimmer hätte mindestens achtzig Quadratmeter. Der Raum bekäme Licht aus drei Himmelsrichtungen, was meinst du?«
Nele antwortete nicht. Sie stand einfach da, und ihr Blick ging durch mich und die Wand hindurch. Ich startete einen neuen Versuch.
»He, schau doch mal, Süße. Weißt du, die Zeiten haben sich geändert, heute wollen alle große, helle, offene Räume. Wenn man die Wand rausnimmt, hätte der Raum den ganzen Tag Licht, was meinst du?«
Sie senkte den Kopf und atmete schwer. Ich gab den Versuch auf, ging zu ihr und nahm ihre Hand. Ich zog sie aus dem Haus. Sie folgte mir wie eine mechanische Puppe.
Die frische Luft war wie eine kühle Dusche. Ich steuerte uns ums Haus herum in den verwilderten Garten. Ich zog Nele durch die Büsche, immer weiter, bis zu einer alten
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