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Nele Paul - Roman

Titel: Nele Paul - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Birbaek
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meiner Hand. Als wir schließlich vor der Haustür standen, ließ sie meine Hand los und trat einen Schritt zurück. Sie holte einen Schlüssel aus der Tasche und hielt ihn mir hin. Der Schlüssel wollte erst nicht ins Schloss, und als er endlich drin war, wollte er sich nicht drehen lassen, aber auf solche Probleme war ich vorbereitet. Ich zog den Schlüssel wieder raus, verpasste dem Türschloss einen Schuss Graphit und steckte ihn wieder rein.
    »Alles in Ordnung?«
    Sie versuchte ein Lächeln, obwohl meine Frage nicht die hellste gewesen war. Wie könnte alles in Ordnung sein? Als sie das letzte Mal durch diese Tür gegangen war, hatte Hans noch gelebt.
    Ich drehte den Schlüssel, die Tür schwang auf, und ein furchtbarer Gestank schwappte uns entgegen. Es roch nach Fäulnis und Verwesung.
    Ich trat instinktiv einen Schritt zurück und prallte gegen Nele, die stöhnte, als die Gestankwelle sie erreichte.
    »Puuuhhh!« Sie trat einen Schritt zurück. »Was ist das denn …?«
    »Keine Ahnung«, sagte ich und hielt mir die Hand vor den Mund. »Hast du Gasmasken eingepackt?«
    Sie lächelte gequält und blieb in gebührendem Abstand zur Tür stehen. Als mir klar wurde, dass sie nicht weitergehen würde, trat ich einen halben Schritt vor und linste ins Haus. Obwohl durch die offene Tür Sonnenlicht in den Flur fiel, war drinnen alles düster. Die Fenster mussten nicht nur verdreckt, sondern mit irgendwas verklebt oder verhangen sein. Ich staunte nicht schlecht, als ich den Lichtschalter betätigte und das Licht tatsächlich anging. Ich sah Nele erstaunt an.
    »Wieso ist denn der Strom angemeldet?«
    Sie zog die Schultern hoch.
    »Der Anwalt regelt das.«
    »Zahlt der das auch, der Depp?«
    Ich streckte meine Hand aus. Sie nahm sie und folgte mir unsicher. Ich holte tief Luft und trat zwei Schritte vor in den Flur. Auf dem Boden standen ein paar Plastiktüten und Kartons. In der Garderobe hingen Kleidungsstücke. Als wir näher kamen, hob ein Geschwader Motten ab. Links und rechts raschelte es, November strich wie ein Pfeil an uns vorbei und warf sich auf die Kartons. Etwas fiepte, und schon hielt er eine zuckende Ratte im Maul. Er schaute Lob heischend zu mir hoch.
    »Was soll das?«
    Er schloss seine Kiefer. Es knackte. Die Ratte hörte auf zu fiepen.
    »O Mann«, sagte Nele.
    November ließ die Ratte fallen und stürzte sich ins Gefecht. Wir hielten uns die Nase zu und folgten ihm in den Flur. Die Wände waren mit Farbe besprüht. Das Geländer der Treppe, über die man ins obere Stockwerk gelangte, hing halb herausgerissen an der Wand. Bei jedem Schritt knirschte esunter unseren Füßen. Der ehemals rote Teppich war braun und voller Glassplitter. Es war, als wäre ein Orkan durch den Flur gewütet. Nele schaute sich um.
    »Was ist hier passiert?«
    »Jugendliche«, sagte ich.
    Als wir das Wohnzimmer betraten, sahen wir dann das ganze Ausmaß der Katastrophe: Durch eine kaputte Scheibe drang ein einzelner Sonnenstrahl in den fünfzig Quadratmeter großen Raum, alle anderen Fenster waren mit Farbe zugesprayt, dennoch erkannte man, dass alle Wände und Möbel mit Graffiti beschmiert waren. Vor allem GET-TO GANGSTA hatte sich hervorgetan. FUCK THA BYTCHES und KILL THE POLICE waren seine Kernaussagen. Ich riss das Fenster auf, um dem Gestank etwas entgegenzusetzen. Sonnenlicht fiel in den Raum und offenbarte Details. Neben der völlig verdreckten und mit Brandlöchern übersäten Couch lagen zwei benutzte Kondome auf dem Boden, und der Wohnzimmertisch war an zwei Stellen angekokelt. Aus den Wandschränken waren Regalbretter rausgeschlagen. Den passenden Rahmen bildeten die vergilbten Dekotapeten. Alles sah erledigt aus. Sogar die halbwegs unversehrten Möbel waren nur noch für den Sondermüll zu gebrauchen. Nele sah sich fassungslos um.
    »Es ist alles kaputt!« Sie schaute zu einem alten Ledersessel mit hoher Rückenlehne. Ein massives Eichenteil, wie man sie häufig in diesen traditionsreichen englischen Clubs findet. »Das war Papas Lieblingssessel.«
    Die Rückenlehne war mit gelber Farbe besprüht. Die rechte Armlehne war angekokelt. In der Ritze steckten vier leere Weinflaschen, die mit den Hälsen nach unten zwischen die Polster gequetscht worden waren.
    »Das einzig Gute daran ist, dass ich weiß, wer das getan hat, und der wird dafür bezahlen«, sagte ich.
    Sie sah mich nicht mal an. Ihr Blick hing an dem Ledersessel und schien in alte Welten unterwegs. Ich nahm mir vor, mirden kleinen Scheißer gleich

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