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Nele Paul - Roman

Titel: Nele Paul - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Birbaek
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lang.
    Wie jeden Freitag war der Schaukelstuhl überfüllt. Die Musikbox bollerte einen Schlager aus den Siebzigern. Rex Gildo versprach Marie den letzten Tanz, doch als wir eintraten, kam der Raum vorzeitig zum Erliegen. Es hatte sich längst herumgesprochen, dass sie wieder da war. Die Verrückte, die aufgebrochen war, um Nju Jork zu erobern, war wieder da. Und hässlicher war sie nicht geworden. Am Tresen war wieder Junggesellenparade, und einigen fielen fast die Augen aus dem Kopf.
    »Hallo«, sagte Nele.
    Außer Rex Gildo sagte keiner was. Ich drückte ihre Hand. »Mach dir nichts draus«, flüsterte ich, »die kriegen bloß gerade einen Hirnschlag, weil du so scharf aussiehst.« Ich winkte in die Runde. »Alle, die auf mich neidisch sind, bitte blöd gucken, danke, reicht.«
    Jemand schrie, und schon sauste etwas an mir vorbei und fiel Nele um den Hals. Anita. Aus dem Häuschen. Die beiden umarmten sich, gingen auf Armeslänge, strahlten sich an, umarmten sich wieder. Was sie sich gegenseitig an Komplimenten verpassten, konnte einen normalen Mann erröten lassen. Der Schaukelstuhl hielt den Atem an. Zwei attraktive Frauen, beide vom Leben nicht verschont und dennoch obenauf, das bekam man hier nicht alle Tage zu sehen. Wäre Van Gogh anwesend gewesen, hätte er gemalt, Shakespeare hätte gedichtet, Rio komponiert. Aber es waren bloß Dorf bewohner da, und das Einzige an Kunst, das hier betrieben wurde, war der Versuch, nicht zu viel neben die Schüssel zu kotzen.
    Der Raum kam wieder in Schwung. Man rief nach Bier, Gunnar schnauzte Anita an, ob er verdursten sollte, wenigspäter stand ich an der Theke und nuckelte an einem lauwarmen Flaschenbier. Anita hatte alle Hände voll zu tun, und die einfachste Möglichkeit, mit ihr zu reden, war die, mitzumachen, also stellte Nele sich an die Zapfanlage, und schon hatte der Schaukelstuhl das schärfste Thekenpaar seiner Geschichte wieder.
    Hinten am Tisch saß die obligatorische Pokerrunde. Schröder kam aus dem Glotzen gar nicht mehr raus, prompt verlor er eine Runde und verfluchte die Weiber, was mich endlich auf Gedanken brachte. Ich schaute mich um, konnte Rokko aber nirgends entdecken. Ich verschwendete eine ganze Minute mit der Suche nach meinem Handy, bis mir klar wurde, dass es zu Hause lag, also nahm ich meinen Mut zusammen und ging nach hinten zum Klo, wo der Hausapparat hing.
    Wer auch immer das Telefon direkt neben dem Männerklo angebracht hatte, durfte sich rühmen, den Gästen geholfen zu haben, sich kurz zu fassen. Der Schaukelstuhl war schon immer heruntergekommen gewesen, aber in den letzten Jahren hatte er einen Quantensprung gemacht. Von den Wänden blätterte die Farbe in großen Stücken ab, der Steinboden hatte Löcher, in denen man sich problemlos das Bein brechen konnte, und der Hörer des Telefons war mit Ohrenschmalz verstopft. Es wurde höchste Zeit, dass Gunnar den Laden abgab. Doch das war es schon lange, und er hing immer noch jeden Abend wie festgetackert an seinem Tisch.
    Rokko ging nicht ans Handy. Ich überlegte, seine Eltern anzurufen, aber die waren extrem mitteilungsbedürftig und hatten es zudem noch super drauf, einem Schuldgefühle zu verpassen, weil man ihre Einladung zum Essen, Kaffeetrinken oder Ähnlichem nicht annehmen wollte. Ich ging zur Theke zurück, wo mir Nele mit erhitzten Wangen in die Arme fiel.
    »Anita macht mit!«
    »Geil.«
    Sie boxte mir gegen die Schultern.
    »Bei der Entrümpelung, du Doofi!«
    Ihre Euphorie ließ mich grinsen. Sie drückte mir einen Kuss auf den Mundwinkel und eilte wieder hinter die Theke, wo sie eine Flasche aus dem Kühlschrank angelte und vor mich hinstellte, bevor sie sich wieder ans Zapfen machte. Ich nippte Bier und beglückwünschte mich zu der Idee, hergekommen zu sein.
    Schröder winkte vom Pokertisch rüber, ich tat, als würde ich ihn nicht sehen, und steuerte eine freie Ecke neben der Musikbox an, wo es so laut war, dass nie jemand an dem Tisch saß. Ich setzte mich und trank einen Schluck. Ich trank noch einen Schluck. Ich saß da und trank, und kein noch so kleiner Gedankenschleier bewölkte meinen Horizont. Die Mädchen alberten hinter der Theke herum und scherzten mit den Stammgästen. Ihre gute Laune war ansteckend, und schon bald wurde die erste Lokalrunde geschmissen, auf die weitere folgten. Nele war nicht wiederzuerkennen, nur Telly ließ sie links liegen. Sie hatte ihn noch nie gemocht. Jeden anderen im Lokal wickelte sie um den Finger. Zwischendurch kam sie mit einer

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