Nele Paul - Roman
Stelle neben dem Herd sauber und sah mir ein letztes Mal die verbrannte Stelle auf der Arbeitsplatte an. Dieser Fleck war ausnahmsweise nicht den Kids zu verdanken, sondern mir. Hans war damals auf einer Tournee gewesen, Nele hatte für uns gekocht, und wir konnten die Möglichkeiten der sturmfreien Bude nicht bis nach dem Essen abwarten. Wir tobten uns aus, ich vergaß, die Kerzen in der Küche zu löschen, und fast wäre die ganze Bude abgefackelt. Als Hans wiederkam, hatten wir die Wand wieder weiß gestrichen, aber bei dem Brandfleck auf der nagelneuen Arbeitsplatte war nichts zu machen gewesen. Wir stellten uns. Er lachte. Holz, sagte er, bloß Holz. Dann lobte er uns, weil wir es gleich gebeichtet hatten.
Die Einbauküche war gute deutsche Wertarbeit. Auch als der Krieg längst verloren war, kämpfte sie noch bis zum letzten Dübel. Jedes Mal, wenn ich glaubte, sie würde kapitulieren, bekam sie von irgendwoher Verstärkung. Ich drückte das rotierende Sägeblatt mit gebleckten Zähnen durchs Holz, doch die Hängeschränke klammerten sich fanatisch an die Wand. Mit der Zeit wurden meine Arme zum Problem. Ich stemmte meine Beine in den Boden und begann, die Schränke auseinanderzunehmen. Als ich glaubte, endlich das Rückgrat der Küche geknackt zu haben, fiel die gesamte Arbeitsplatte mit dem Unterbau auseinander. Ich ließ die Säge schweißüberströmt sinken und streckte meinen Rücken durch. Diesen Moment nutzte der Hängeschrank für einen letzten verzweifelten Ausbruchversuch: Ein Teil ließ sich nach links fallen, der Rest stürzte sich auf mich. Ich sprang zur Seite und ließ die Säge los. Der Oberschrank knallte an der Stelle zu Boden, wo ich eben noch gestanden hatte. Die Säge drehte jaulend eine Ehrenrunde auf dem Boden, bevor ich sie endlich zu fassen bekam und ausmachte. Ich trat zwei Schritte zurück und lehnte mich gegen die Wand. Mein Herz hämmerte, und meine Beine zitterten. Das Sägeblatt war keine fünf Zentimeter an meinem Knie vorbeigewirbelt. So schnell konnte es gehen.
Ich steckte den Kopf aus dem Fenster und atmete tief durch. Die warme Luft roch angenehm. Als ich so mit meinem Kopf aus dem Fenster hing, kam Nele mit zwei blauen Müllsäcken beladen vorbei. Ihr Shirt war an den schönsten Stellen durchgeschwitzt. Was ein Psychologe in diesen Klecksen gesehen hätte, kann ich nicht sagen, aber mich ließen sie durchatmen.
»Hey, wie läuft’s?«
Sie lächelte, obwohl ihr der Schweiß in Bächen am Körper entlanglief.
»Die Container kommen gleich. Und bei dir?«
»Es geht voran.«
Ich streckte mich aus dem Fenster und spitzte den Mund. Sie drückte mir einen verschwitzten Kuss auf. Ich fühlte neue Kampfeskraft in mich zurückkehren.
Der Unterschrank hatte sein Pulver verschossen und streckte jetzt die Waffen. Zur Sicherheit verarbeitete ich ihn zu Kleinholz, und anschließend nahm ich mir den großen freistehenden Küchenschrank vor, während ich herumfantasierte. SOHN EINER BEHINDERTEN SCHNEIDET SICH AUS SOLIDARITÄT BEIN AB! GEMEINSAMER SCHUHKAUF MÖGLICH! Durch den Krach der Säge hörte ich jemanden lachen. Als der Schrank Vergangenheit war, warf ich einen Blick in eine der kaputten Scheiben. Mein Spiegelbild zeigte einen durchgeknallten Irren voller Späne, Dreck und Staub. Seine Arme zitterten unkontrolliert, er lachte mit gebleckten Zähnen. Ein guter Moment, um eine Pause zu machen.
Ich stellte die Säge aus. Irgendwo sangen die Mädchen zweistimmig. Ich lauschte, während ich mir die Arme massierte. Mercedes Benz von Janis Joplin. Die Nummer hatte ich seit Jahren nicht mehr gehört, und die Erinnerung rief weitere wach.
Der Gesang kam schlagartig zum Erliegen, als draußen ein Wagen vorfuhr. Das Husten der Endrohre war so eindeutig wie ein DNA-Test. Der Motor starb, eine Autotür klappte, und wenig später kam Rokko herein. Seine Schritte knirschten auf den Glasscherben. Er trug Jeans, Sonnenbrille, ärmelloses Shirt, feste Schuhe, Handschuhe im Gürtel und eine Baseballkappe. Er sah mörderschwul aus.
»Hab’s gewusst«, grinste ich.
»Was? Dass du gestern gesoffen hast?« Er ließ seinen Blick durch das Zimmer gleiten. »Mann, willst du mal hören, was du mir auf die Kiste gequatscht hast …« Sein Blick blieb an den Graffitis hängen. »Was ist das …« Er nahm dieSonnenbrille ab und schaute genauer hin. »Getto Gangsta? Das ist doch der kleine Wichser Benni, oder? Hat der etwa die Bude so niedergemacht?«
Wir tauschten einen Blick und waren uns schnell
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