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Nele Paul - Roman

Titel: Nele Paul - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Birbaek
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jeder trinkt doch mal einen über den Durst.«
    Sie streichelte Neles Rücken und suchte in meinem Gesichtnach irgendwas. Ich ließ sie sehen, was da war. Viel war es nicht. Zeit, in die Gänge zu kommen.

    Das Haus sah immer noch genauso aus, wie ich es in Erinnerung hatte. Nur das Praxis-Schild war entfernt worden, nachdem Doktor Nissen in Rente gegangen war. Der Rasen war gepflegt, die Hecken gestutzt. Musste eine Menge Arbeit sein in dem Alter. Vielleicht hatte er einen Gärtner. Als ich das Gartentor aufschob und in den Vorgarten ging, öffnete sich die Tür oben auf der Veranda, und Nissen trat heraus. Er trug eine ausgebeulte Leinenhose, rote geblümte Hosenträger und ein beiges Hemd. Ich blieb vor der Veranda stehen und schaute zu ihm hoch.
    »Morgen.«
    Er rückte sich die Brille zurecht. Die Raupen über seinen Augen berührten sich, als er zu mir herunterschaute.
    »Paul. Bist früh unterwegs.«
    »Ich laufe.«
    »Gut, gut, laufen ist gut.« Er nickte wie zur Bestätigung. »Es war ein schönes Fest. Richte deiner Mutter meinen Dank für das tolle Essen aus. Sie ist wirklich eine hervorragende Köchin.«
    »Danke. Mach ich.«
    Ich wartete, ob er noch was sagen würde, aber er lächelte abwartend zu mir herunter. Offenbar war er gestern Abend früh gegangen und hatte nichts von der Sache mitbekommen. Wir standen da, und ich wusste einfach nicht, wie ich beginnen sollte. Schließlich nickte er mir zu.
    »Möchtest du ein Glas Limonade?«
    »Gern.«
    Er wies auf einen der Schaukelstühle, die neben dem Holztisch auf der Veranda standen.
    »Nimm Platz.«
    Er verschwand durch eine quietschende Fliegengittertür ins Hausinnere. Ich nahm die Stufen und setzte mich. Wennich früher am Garten vorbeigestreunert war, hatte er oft hier mit seiner Frau gegessen. Frühlingstag, Sommermorgen, Herbstabend: Sie saßen immer da. Manchmal spielten sie Karten, manchmal lasen sie ein Buch, manchmal saßen sie einfach nur da. Immer nebeneinander. Ich weiß noch, wie langweilig ich das damals gefunden hatte. Heute wünschte ich, mein restliches Leben so mit Nele zu verbringen. Auf der Veranda sitzen. Manchmal eine Partie Dame spielen. Mit November spazieren gehen. Ein Buch lesen. Ihre Hand halten und von Zeit zu Zeit ins Schlafzimmer verschwinden. Tagträume.
    Nissen kam mit einem Tablett wieder, auf dem zwei Gläser und eine Karaffe standen. Der Inhalt war von einem satten Zitronengelb. Eiswürfel klackerten. Er stellte das Tablett auf dem Tisch ab und ließ sich schwer auf den zweiten Schaukelstuhl sinken. Das Holz protestierte unter seinem Gewicht. Ich schenkte uns ein. Er nahm sein Glas und prostete mir zu. Ich nahm einen Schluck. Mein Mund zog sich zusammen. Zitronensaft, vielleicht nur achtundneunzigprozentig, fast wäre es mir wieder hochgekommen.
    Nissen lachte.
    »Geht doch nichts über ein paar Vitamine …«
    Er leerte sein Glas zur Hälfte, stellte es auf den Tisch und zog ein riesiges Stofftaschentuch aus der Hosentasche. Während er sich den Mund abwischte, musterten seine blassen Augen mich wie nebenbei. Erste Diagnose. Er faltete das Taschentuch ordentlich zusammen, bevor er es wieder in einer seiner riesigen Hosentaschen verschwinden ließ.
    »Also, Paul, was führt dich zu mir?«
    »Nele hat …« Ich holte tief Luft. »Aussetzer.«
    Er wollte etwas sagen, kniff stattdessen die Augen zusammen, lehnte sich zurück, verschränkte die Arme, senkte seinen Kopf und musterte mich über den Rand seinerBrille. Mit der Nummer hatte er Rokko und mir früher immer jeden Wurm aus der Nase gezogen.
    »Vor ein paar Tagen ging sie abends alleine zur Villa hoch. Wenig später fand ich sie starr auf dem Boden liegend. Sie hatte sich unter einem Müllsack versteckt, als hätte sie Angst. Sie hatte einen Schock.«
    Er kniff die Augen zusammen.
    »Vielleicht diese Bande. Ich schließe schon selber meine Tür abends ab.«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Ich glaube nicht, dass da noch jemand in der Villa war, außerdem ist es heute Nacht wieder passiert, und da war die Bande ganz sicher nicht dabei.«
    Die weißen Würmer hoben sich.
    »Heute Nacht? Auf dem Fest?«
    »Sie hat Telly ein bisschen verprügelt, und dann ist sie umgekippt. Sie war wie weggetreten. Ein paar Minuten später war sie wieder da und hatte keinerlei Erinnerung an das, was passiert war.«
    »Wieso Telly?«
    »Keine Ahnung.«
    »Hm«, machte er und nahm die Brille ab, um sie mit einem kleineren Tuch zu putzen, das er aus der anderen Hosentasche zog. »Und wie geht

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