Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nele Paul - Roman

Titel: Nele Paul - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Birbaek
Vom Netzwerk:
es ihr heute?«
    »Sie schämt sich und hat einen Schädel, was kein Wunder ist bei dem Zeug, das wir getrunken haben. Aber sonst ist sie wie immer, alles normal.«
    Er warf mir einen kurzsichtigen Blick zu. Ohne die Gläser wirkten seine Augen viel kleiner, und die Pupillen schienen in blassblauer Farbe zu schwimmen.
    »Kommt schon mal vor, dass auf einem Fest zu viel getrunken wird …«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Ich hab schon oft mit ihr gefeiert, sie ist dabei noch nie ausgerastet. Sie hätten sie mal sehen sollen. Außerdem gabes früher schon einen ähnlichen Vorfall. Sie sagt, sie habe auch da was getrunken, aber …«
    Ich zog die Schultern hoch. Nissen setzte sich die Brille wieder auf und schob sich das Tuch in die Hosentasche.
    »Aber?«
    »Keine Ahnung. Heute Nacht dachte ich, sie ist vielleicht krank und zum Sterben nach Hause gekommen.«
    Er musterte mich über den Rand seiner Brille.
    »Paul, wie viel hast du geschlafen, seitdem sie wieder da ist?«
    »Was hat das damit zu tun?«
    »Das hat damit zu tun, dass Schlafmangel Stress verursacht, und unter Stress sieht man die Dinge eben ein bisschen anders. Vielleicht solltest du dich mal ausschlafen.«
    Ich versuchte, ruhig zu bleiben.
    »Wollen Sie damit sagen, ich soll mir keinen Kopf machen, wenn Nele einen Polizisten zusammenschlägt und dann umkippt und sich später an nichts mehr erinnern kann?« Er seufzte.
    »Gut. Wie kann ich dir helfen?«
    »Können Sie sie mal durchchecken? Vielleicht hat sie irgendwas, ohne es zu wissen. Sie wissen ja, Klaus Belling.« Klaus Belling war eine Klasse unter mir gewesen und sehr eigen. Manchmal redete er tagelang nicht, und manchmal wurde er schlagartig so aggressiv, dass sogar Rokko sich von ihm fernhielt. Eines Tages, auf dem Heimweg von der Schule, fiel er um und starb an einem Gehirntumor.
    »Ich kann hier kein CT machen«, sagte Nissen.
    »Aber ein EKG und ein Blutbild.«
    Er zögerte.
    »Wie du weißt, praktiziere ich eigentlich nicht mehr.«
    »Vielleicht könnten Sie auch mal mit ihr reden«, fuhr ich fort, als hätte ich ihn nicht gehört. »Sie hat mir verschwiegen, dass sie für einen Escort-Service gearbeitet hat, wer weiß, vielleicht gibt es da noch etwas, über das sie mit mirnicht reden kann, weil sie sich schämt. Vielleicht erzählt sie es Ihnen.«
    Wieder gab er mir diesen forschenden Blick über den Brillenrand.
    »Escort-Service?«
    Ich nickte. Die Falten um seine Augen wurden ein bisschen tiefer. Er gab sich Mühe, nicht zu grinsen.
    »Und schon glaubst du, sie muss krank sein?«
    »Machen Sie es, oder nicht?«
    Er ließ seinen Blick durch den Garten wandern und schien nachzudenken. Und ließ sich Zeit damit. Ich ertappte mich dabei, auf den Tisch zu trommeln, und legte meine Hände in den Schoß. Er lehnte sich vor, schaute in das Rosenbeet, lehnte sich wieder zurück und kratzte sich hinter dem rechten Ohr. Gleich würde ich schreien.
    »Also gut«, sagte er. »Ich mache ein EKG, ein Blutbild, rede mit ihr, mache eine Krebsvorsorge und taste sie nebenbei noch nach Tumoren ab, sonst noch was? Ein Schwangerschaftstest vielleicht?«
    »Haha. Danke.«
    Er grinste, hob sein Glas und prostete mir zu. Ich nahm mein Glas in die Hand und stieß es gegen seines. Das Kristall klang klar und rein in der Luft. Er leerte sein Glas in einem Zug. Ich tat es ihm nach. Die geballte Zitrusladung ließ mich Grimassen ziehen. Er lachte.
    Als wir uns verabschiedeten, legte er mir seine große Hand auf die Schulter.
    »Tut gut, dich so zu sehen.«
    »Wie?«
    »Interessiert. Das schafft offenbar nur Nele bei dir.«
    Auch darüber dachte ich nach, während ich zurücklief. In meinem Magen gluckerte die Limonade, und ich schaute mich ständig nach November um.
    Als ich in die Küche kam, war sie leer. Ich rief nach Mor. Nichts. Ich rief November und Nele, nichts. Die Stille im Haus fühlte sich seltsam an. Ich trat raus auf den Hof und sah zur Villa hinauf. Dort wimmelte es von Menschen. Ich erkannte Bennis Benz, Anitas Motorrad und mehrere Mofas. Im selben Moment kam der GT auf den Hof gerollt, und Rokko stieß die Beifahrertür auf.
    »Mann, willst du so ins Büro?«
    Ich schaute an mir herunter, dann lief ich ins Haus, duschte und wechselte die verschwitzten Sportklamotten gegen Jeans, Hemd und Mokassins. Keine fünf Minuten später rutschte ich tropfend auf den Beifahrersitz. Rokko musterte mich, er machte keine Anstalten loszufahren.
    »Wie geht es ihr?«
    »Sie hat einen Schädel«, sagte ich und starrte

Weitere Kostenlose Bücher