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Nele Paul - Roman

Titel: Nele Paul - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Birbaek
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krassen Kontrast zu den Gangstern im Film, die immer einen Plan hatten. Die meisten Straftäter, die ich früher verhaftet hatte, würden die Beine ihrer Betten absägen, um tiefer schlafen zu können. Wir würden sie erwischen. Die Frage war nur, wie viele Unschuldige sie vorher erwischen würden.
    Als Hundt die Einsatzbesprechung auflöste, ging ein kollektives Aufstöhnen durch den Raum, und alle strömten nach draußen, um frische Luft zu schnappen. Ich ignorierte die Kommentare über meine Nase, behielt Telly im Auge und folgte ihm den Flur entlang. Er bog in den Toilettenraum. Ich erwischte ihn, als er gerade in einer der Kabinen verschwinden wollte. Ich schob die Tür wieder auf.
    »He, Telly, warte mal.«
    Er schaute mich erschrocken an. Vielleicht wegen des Geruchs, der aus der Kabine drang.
    »Hör mal, Paul, tut mir echt leid wegen gestern. Sie ist einfach über mich hergefallen.«
    »Jaja, komm doch da mal raus, bevor ich bewusstlos werde.« Er trat aus der Kabine heraus. Hinter ihm schwang die Tür zu. Ich lehnte mich an die Kabinenwand.
    »Erzähl mir bitte genau, was da gestern passiert ist.«
    »Ich wollte auf die Toilette, und als ich ins Haus ging, traf ich sie, und plötzlich ist sie ausgerastet.«
    »Du hast nichts zu ihr gesagt?«
    »Doch, klar, irgendwas wie schönes Fest oder so, schon ging’s los.«
    Ich starrte ihn an. Sein Blick flackerte zu dem kleinen Fenster hoch, das auf Kipp stand.
    »Was habt ihr beide eigentlich für ein Problem?«
    »Ich hab kein Problem mit ihr, wirklich, ich finde sie nett.«
    »Super«, sagte ich. »Und hast du vielleicht eine Ahnung, warum sie dich dann zusammenschlägt?«
    »Klar, ich hab den Unfall ihrer Mutter aufgenommen.«
    Ich schaute ihn überrascht an.
    »Das wusste ich nicht.«
    »Ist ja auch ewig her.«
    »Und?«
    Er lächelte verkrampft.
    »Na ja, ist doch ’ne Scheißerinnerung, oder? Sie ist damals auch total ausgerastet.«
    Mein Herz klopfte schneller.
    »Ausgerastet? So wie gestern?«
    Er schüttelte den Kopf, ohne den Blick von dem Fenster zu lösen.
    »Nein, sie war ja noch klein. Außerdem hatte sie damals einen Grund. Stell dir vor, deine Mutter ist gerade gestorben, und dann kommt so ein blöder Bulle und hält dich fest, da würde doch jeder ausrasten.«
    »Wieso denn festhalten?«
    Seine Augen flatterten wieder zum Fenster.
    »Als wir am Unfallort ankamen, dachte mein damaliger Partner, dass Frau Reichenberger vielleicht noch lebt. Er wollte sie untersuchen, aber Nele hing an ihr wie eine Klette, da hab ich sie auf den Arm genommen und bin mit ihr in die Küche gegangen.«
    Ich starrte ihn an. Er nickte bekümmert.
    »Was sollte ich machen? Sie wollte partout nicht loslassen, und wir mussten uns ja um ihre Mutter kümmern.«
    »Was war mit ihrem Vater?«
    »Stand unter Schock.«
    Seine Augen flatterten wieder zum Fenster. Hinter uns ging die Tür zum Gang auf. Ich hob eine Hand.
    »Sekunde noch …«
    »Ich muss mal«, sagte eine Stimme. Es klang wie einer der Malik-Brüder.
    Ich schlug gegen die Kabinenwand.
    »Verpiss dich!«
    »Ist ja wie zu Hause«, nölte die Stimme spöttisch.
    Die Tür fiel ins Schloss. Telly legte eine Hand auf den Knauf der Kabinentür und sah mich an.
    »Kann ich? Weißt du, es drängt ein bisschen …«
    »Gibt es noch irgendwas, das du mir sagen willst?«
    Er schüttelte den Kopf. »Weißt du, Paul, vielleicht solltest du mal darüber nachdenken: Nele hat mich heute Nacht angegriffen. Wie wäre es mit einer Entschuldigung? Ich hab damals nur meinen Job gemacht, und du müsstest eigentlich wissen, wie viel wir im Außendienst einstecken.«
    Ich seufzte und legte ihm eine Hand auf die Schulter.
    »Entschuldige, ich bin mit den Nerven zu Fuß. Ich hab sie noch nie so wütend erlebt wie heute Nacht.«
    Er nickte bekümmert.
    »Vielleicht die Bowle. Die war stark. Du weißt ja, wie Leute auf Alkohol reagieren.«
    »Ja. Tut mir leid, dass ich hier so einen Stress mache, ich mache mir eben Sorgen.«
    »Das verstehe ich«, sagte er. »Hätte ich so eine Frau, würde ich mir auch Sorgen um sie machen.«
    »Danke.« Ich trat einen Schritt zurück und gab den Weg frei. »Nächstes Bier auf mich, ja?«
    Die Erleichterung sprang ihm förmlich aus den Augen.
    »Kein Problem«, sagte er und verschwand in die Kabine.
    Ich verließ den Raum. Irgendwas war mit ihm. Dass er den Unfall von Neles Mutter aufgenommen hatte, war natürlich ein Grund, ihn schlecht in Erinnerung zu behalten, aber falls Nele sich daran erinnerte, hätte

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