Nelken fuers Knopfloch
Geulen beugte sich zu ihr herab. »Sie werden erwartet, gnädiges Fräulein.« Er wählte diese vorsichtige Formulierung, um vor den anderen Besuchern des Lesezimmers keine Indiskretion zu begehen, aber ihr schien an solcher Diskretion wenig zu liegen.
»Schönen Dank«, sagte sie laut genug, daß es wenigstens die nähere Umgebung hörte, »wann ist Michael Pforten eingetroffen?« Und die Intimität, mit der sie Pfortens Vornamen aussprach, war durchaus beabsichtigt.
Herr Geulen hüstelte: »Vor wenigen Minuten...«
Simone Simpson griff nach ihrer modischen Handtasche aus hellgrauem Gazellenleder, entnahm ihr Spiegel und Lippenstift und unterzog ihr hübsches Gesicht einer sorgfältigen kosmetischen Auffrischung, ehe sie sich hüftschmal und schlank aus dem Sessel erhob und auf hochhackigen Pumps mit schwingenden Hüftbewegungen den Raum verließ. Der hautenge Rock ließ das Spiel ihrer trainierten Muskeln deutlich erkennen. Herr Geulen blickte ihr nach und griff mit zwei Fingern unter seinen steifen Cutaway-Kragen. Es wurde in seinem Beruf immer schwieriger, Damen von solchen Damen, die eigentlich keine Damen waren, zu unterscheiden. Dieses Mädchen war hinreißend gewachsen, aber sie entsprach in ihrer Aufmachung und in ihrer Art, sich zu bewegen, nicht seinem Geschmack. Zum Glück war das nicht seine, sondern Herrn Pfortens Angelegenheit.
Michael Pforten las ein Telegramm, als Simone Simpson — übrigens ohne anzuklopfen — in sein Zimmer eintrat. Seine geschäftliche Post ließ er sich ins Hotel schicken. Ein ganzer Stapel von Briefen lag vor ihm auf einem Konsolspiegel, aber er hatte nur die Rosine herausgefischt. Es handelte sich um die Anfrage eines ihm gut bekannten Intendanten, ob er bereit sei, in einem Frankfurter Theater eine Gastrolle in einem Stück zu übernehmen, das in London Serienaufführungen erlebt hatte. Das Stück war ihm mit der gleichen Post zugesandt worden, und seine Entscheidung wurde innerhalb von zehn Tagen erwartet.
»Oh, Simone, was für eine reizende Überraschung!«
Er warf das Telegramm auf den Tisch, als sei in ihrer Gegenwart alles andere, worum es sich auch handeln mochte, höchst nebensächlich, und er ging ihr entgegen, um ihre Hand an seine Lippen zu ziehen.
»Wie nett von dir, mich aufzusuchen! Gilt der Besuch mir? Oder — brennt es irgendwo?«
»Natürlich nur dir, Michael!« rief sie mit einer kokett graziösen Artistenverneigung, die ein wenig ironisch übertrieben war, aber in der Verbindung mit ihrem Gesichtsausdruck doch Respekt und Bewunderung für seinen Ruhm und den Glanz seines Namens ausdrückte. Und in einen vorwurfsvollen Schmollton überwechselnd, sagte sie: »Du hast dich fünf Tage lang nicht sehen und auch nichts von dir hören lassen!«
»Süßes Kind, du vergißt, daß ich einen kleinen Nebenberuf habe und mitten in neuen Drehbuchbesprechungen stecke. Mit Stiebeling — dieser Bursche tut doch nichts, wenn man ihm nicht dauernd auf die Zehen tritt. — Aber du sollst wissen, daß ich an dich gedacht habe.«
»Wirklich?« fragte sie zweifelnd.
Er ließ sich mit einem Bein auf der Kante des Chippendaletisches nieder und deutete einladend auf einen der mit großgeblümtem Chintz bezogenen Sessel, der neben ihm stand.
»Zigarette?« fragte er und hielt ihr eine Porzellandose mit einer zärtlichen Schäferminiatur entgegen, die sein persönliches Eigentum war. Sie dankte und blickte mit einiger Spannung zu ihm auf.
»Du weißt, mein Kind, daß mein neuer Film im Zirkusmilieu spielt, nicht wahr?«
Simone Simpson nickte, ihre Hände spielten nervös mit dem Bügel ihrer Handtasche, während Pforten sich eine Zigarette anzündete.
»Es ist eine Frauenrolle darin, nicht sehr dankbar, weil sie etwa in der Mitte des Streifens aus der Handlung verschwindet. Das ist der Grund, weshalb Väterchen Bugatzki bisher auf seine Angebote lauter Körbe bekommen hat. Er ist ziemlich nervös geworden und hat schon daran gedacht, Stiebeling damit zu beauftragen, die Rolle zu erweitern und bis zum Schluß durchzuführen. Aber dem habe ich mich entschieden widersetzt. Es würde den Sinn der ganzen Sache zerstören.«
Er blickte zu ihr herab und bemerkte, daß ihre Halsschlagader unter der bräunlichen Haut rascher pulste.
»Du hast mit Bugatzki über mich gesprochen?«
»Ja«, er nickte, aber sein Ja war zurückhaltend und schien einige Vorbehalte einzuschließen. »Es ist eine Artistenrolle, Simone! Was kannst du außer Tanzen und Singen?« Und mit einem
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