Nelken fuers Knopfloch
für einen berühmten, zahlungskräftigen Bauherrn eingerichtet hatte. Herrlich war der Blick durch die von Rankengewächsen eingerahmte Glasfront. Die Voralpenlandschaft mit ihren vielfältigen Grüntönen und dem Trompetengold der Kornfelder spannte sich wie ein riesiger Breughel in den Rahmen, und es fehlten darin auch nicht die lebenden Figuren, denn irgendwo ging ein Ochsengespann vor dem Bauernwagen, zerschnitt ein Vogelschwarm den Himmel, führte ein Schäfer seine Herde über die Wiesen, flitzten Schwalben sirrend durchdie Bläue oder knarrte ein Pferdegespann über die gelben Straßen, goldene Staubwolken aufwirbelnd, die träge über die Felder abzogen.
»Ich habe für uns im Frühstückszimmer decken lassen«, sagte Heliane, während sie durch die Halle gingen. Es war der gemütlichste Raum im Hause, mit Geranienstöcken auf der breiten Fensterbank und alten bemalten Bauernmöbeln, deren leuchtendes Türkis und Zinnoberrot eine heitere Wärme ausstrahlten.
Fräulein Babette, die seit dem Einzug Pfortens auf Sachrang die Küche führte und den Haushalt unter sich hatte, kam ihnen entgegen. Gewohnheitsmäßig wischte sie die Hand an der weißen, gestärkten Schürze ab, ehe sie Marcel begrüßte: »Ich habe schon von der gnädigen Frau gehört, daß Sie da sind, Herr Doktor. Was für eine Freude! Aber mager sind Sie geworden...«
Etienne tätschelte ihren runden Arm. »Grüß Gott, Babettchen! Dafür sehen Sie wie das blühende Leben aus. Aber wenn wir Freunde bleiben wollen, versuchen Sie ja nicht, mich zu mästen!«
»Ich weiß nicht, was das für Zeiten sind«, seufzte Babette, »kein Mensch will was essen. Es macht überhaupt keinen Spaß mehr, zu kochen. Die gnädige Frau lebt nur noch von der Luft, Herr Pforten hungert sich wegen der schlanken Linie zu Tode, und nun fangen Sie auch noch damit an, Herr Doktor. — Ich freu mich schon direkt auf die Ferien, wenn die Jungen wieder daheim sind. Die hauen wenigstens noch rein!« Sie wandte sich an Heliane: »In zehn Minuten ist’s soweit, gnä’ Frau.«
Marcel sah sich im Zimmer um und begrüßte die Möbel wie alte Bekannte. Die gemalten Rosenstöcke auf dem Bauernschrank blühten üppig wie eh und je, und darüber schauten ihm die vier Apostel je nach Temperament freundlich oder grimmig von den Türen entgegen. Ein paar alte Keferloher Deckelkrüge, die Michael Pforten sammelte, waren neu hinzugekommen, und neu war auch eine über der Erdkugel mit der Schlange schwebende Barockmadonna, die auf der fränkischen Truhe stand. Die originale Fassung des schwungvoll geschnitzten Purpurmantels und des resedagrünen Gewandes besaß eine wundervolle Leuchtkraft. Das Bambino, lächelnd und verspielt, ein reizendes Kindchen, das noch nichts von seiner künftigen Bestimmung zu ahnen schien, griff mit zartgliedrigen Fingern nach einer Rosenknospe, deren Duft die Madonna in holder Verzückung einatmete.
»Ein schönes Stück!« sagte er bewundernd und tastete mit kundiger Hand über den Faltenwurf des Gewandes.
»Micha hat mir die Madonna zum fünfzehnten Hochzeitstag geschenkt.«
»Respekt!« murmelte er. »Da hat er sich aber mächtig angestrengt. Oder kam wieder einmal ein bisserl schlechtes Gewissen dazu?« Er blinzelte Heliane aus einem zusammengekniffenen Auge an.
»Lieber Gott!« sagte sie mit einem kleinen Lachen. »Wenn es danach ginge, müßte ich in Geschenken ersticken.«
»Michaels Eskapaden...!« Er grinste, und mit einer salutierenden Handbewegung fügte er hinzu: »Du bist wirklich die gescheiteste Frau, die mir je im Leben begegnet ist. Was war ich nur für ein Trottel, dich mir von Herrn Pforten wegschnappen zu lassen!«
Heliane schenkte ihm einen Aperitif ein, sich selber goß sie nur einen winzigen Schluck, nicht mehr als einen Fingerhut voll, in ihr Glas.
»Ach, Marcel, laß es dir gesagt sein, dir gegenüber wäre ich nicht so großzügig. Bei Michael gehören die Eroberungen sozusagen zum Beruf. Das Gefühl, unwiderstehlich zu sein, ist sein moralisches Korsett, das ihn jung und drahtig hält. Im übrigen sind das alles nur kleine Strohfeuerchen, sie flammen hoch, aber sie zünden nichts an.«
Er hatte auf einem der Lärchenholzstühle Platz genommen und drehte sein Glas zwischen den Fingern. »Du bist seiner sehr sicher, nicht wahr?« fragte er; aber sein Tonfall klang mehr nach Feststellung als nach Frage.
Heliane hob die Schultern. »Ja und nein. Denn, wessen ist man schon sicher? Im Grunde nicht einmal seiner selbst. — Ich
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