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Nelson, das Weihnachtskaetzchen

Nelson, das Weihnachtskaetzchen

Titel: Nelson, das Weihnachtskaetzchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Steinbach
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später gab Arthur Nelson ein wenig Milch in sein Schälchen und stellte es ihm vor das Kissen. Dann nahm er sein Vesperbrot und rückte seinen Sessel so zurecht, dass er die Bühne der Märchenerzählerin beobachten konnte.
    Liselotte wirkte durch die Verkleidung völlig verändert. Auf dem Ohrensessel saß eine weise alte Frau in einem langen grauen Umhang, wie einem Märchen entsprungen, die beinahe etwas Furchteinflößendes an sich hatte. Sie erzählte mit erhobenem Finger und rollenden Augen, mit Pathos und tragender Stimme, und die Kinder folgten ihr mit gebannten Gesichtern. Irgendwann sah Liselotte auf, und ihre Blicke trafen sich quer über die Marktgasse. Sie lächelte und zwinkerte Arthur zu, der die Hand hob und mit einem Lächeln zurückgrüßte.
    Am Abend wurden die Eingänge wie immer mit Gitterzäunen versperrt. Sicherheitsleute postierten sich und sorgten dafür, dass nach Feierabend nur Schausteller ein und aus gehen konnten. In den Ständen wurden nach und nach die Lichter gelöscht. Arthur betrachtete Nelson. Am liebsten hätte er ihn mit zu sich nach Hause genommen, doch er verwarf den Gedanken gleich wieder. Schließlich hatte er nie ein Haustier in seiner Wohnung haben wollen. Aber das war nicht der einzige Grund. Er wollte Nelson seine Freiheit lassen. Der Kater konnte sich überall frei bewegen, und so sollte es auch bleiben.
    Arthur trat aus der Tür und umrundete den Stand, um die Markisen einzufahren. Am Sockenstand nebenan hatten sich ein paar Schausteller versammelt und tranken ein Glas Glühwein. Der junge Mann, der an dem Stand arbeitete – sein Name war Murat, wie Arthur inzwischen erfahren hatte –, hielt einen dampfenden Topf in der Linken und griff mit der Rechten nach einer Kelle. Als er bemerkte, dass Arthur zu ihnen herübersah, rief er: »Hey, Opa! Machst du auch Feierabend? Dann komm doch rüber und trink ein Glas mit uns.«
    Die anderen Schausteller blickten ebenfalls zu ihm herüber. In ihren Gesichtern war keine offene Ablehnung mehr zu erkennen. Die Männer wirkten eher abwartend und neugierig. Doch Arthur schüttelte den Kopf.
    »Danke, nein. Aber einen schönen Feierabend.«
    Was hätte er mit den anderen denn reden sollen? Sie lebten doch alle in einer ganz anderen Welt als er. Nein, er blieb lieber für sich. Mit einem gezwungenen Lächeln hob er die Hand zum Gruß und verschwand wieder in seiner Hütte.
    Dort packte er alles zusammen, nahm seine Tasche und verabschiedete sich schließlich von Nelson. Als er wieder in die Gasse trat, waren die Kollegen nicht mehr zu sehen. Der Sockenstand hatte seine Fenster verschlossen, und die kleine Gesellschaft hatte sich ins Innere verzogen, wo es ein bisschen wärmer war.
    Arthur machte sich auf den Weg zur U-Bahn. Sein Weg führte ihn unterhalb des Fernsehturms durch eine düstere Parkanlage. Kahle Bäume säumten den Weg, dahinter waren die Lichter des belebten Alexanderplatzes zu sehen. Die Kaufhäuser erstrahlten im Weihnachtsglanz, eine S-Bahn ratterte auf den Hochbahngleisen vorbei, und Straßenbahnen kreuzten darunter bimmelnd den Weg. Mit Taschen und Tüten bepackte Menschen machten sich auf den Heimweg.
    Arthur steuerte das blau leuchtende Logo der U-Bahn an. In Gedanken versunken wühlte er bereits nach Kleingeld für den Fahrschein, da erregte ein kleines Plakat seine Aufmerksamkeit. Es hing am letzten Baum der Allee, bevor der offene Platz begann. Ein Kater war darauf abgebildet, darunter eine Suchmeldung. Es war nicht irgendein Kater, es war Nelson. Arthur erstarrte. Er erinnerte sich an das, was eine Kundin zu ihm gesagt hatte: »Da haben Sie ja Ihre Katze wiedergefunden.« Er verstand nun, was sie damit gemeint hatte.
    Erschrocken trat er näher. Sein Herz setzte einen Schlag aus. Das Kleingeld für die U-Bahn hatte er längst vergessen. Dort auf dem Plakat stand schwarz auf weiß, was Arthur insgeheim längst gewusst hatte: Nelson hatte einen Besitzer. Er war nicht einfach irgendein streunender Kater, der bei ihm ein neues Zuhause gefunden hatte. Er hatte einen Besitzer, und er wurde vermisst.
    Arthur wusste nicht, was er jetzt tun sollte. Er starrte eine endlose Zeit auf das Plakat. Als würde das irgendetwas ändern. Schließlich fasste er einen Entschluss. Er trat einen Schritt zurück, drehte sich wie ferngesteuert um und ging einfach weiter. Er wollte so tun, als hätte er nichts gesehen. Wenn er morgen aufwachte, hätte er das Plakat wieder vergessen, hoffte er. Ganz so, als hätte es den Suchaufruf nie

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