Nelson, das Weihnachtskaetzchen
selbst merkte nichts davon, dass hinter seinem Rücken getuschelt wurde. Jeden Morgen, wenn er seinen Stand aufschloss, blickte er als Erstes zu dem Kissen neben dem Öfchen, in der Hoffnung, seinen Kater dort vorzufinden. Meistens lief Nelson ihm schon maunzend entgegen. Er freute sich genauso auf die Ankunft des alten Mannes, wie Arthur sich freute, den kleinen Kater wiederzusehen.
Nelson machte seine nächtlichen Streifzüge auf dem Markt, das wusste Arthur. Einmal hatte der Kater ihm sogar eine tote Maus mitgebracht, ein kleines zerkautes Knäuel, das er als Geschenk vor der Hütte abgelegt hatte. Aber wo er sich auch herumtrieb, Nelson kam immer wieder in den Stand zurück, zum Kissen neben dem Öfchen. Und wenn Arthur morgens zur Arbeit kam, sprang er auf und begrüßte ihn freudig.
Arthur machte es sich zur Gewohnheit, dem Tier erst einmal ein paar Streicheleinheiten zukommen zu lassen, bevor er sich daran machte, den Stand aufzubauen. Dann – wenn alles verkaufsbereit war und der Tag beginnen konnte – holte Arthur ein Schälchen Katzenfutter hervor. Es war das teuerste, das es im Supermarkt gab, denn Arthur brachte es nicht übers Herz, etwas anderes als das Allerbeste für Nelson zu kaufen, auch wenn das seine Rente im Grunde gar nicht zuließ. Aber die Verkäufe liefen gut in diesem Jahr. Außerdem lockte Nelson Kundschaft an. So ein kleiner hübscher Kater öffnete allen das Herz, und manch ein Kunde warf daraufhin den letzten Zweifel über Bord und kaufte kräftig bei Arthur ein.
»Da haben Sie ja Ihre Katze wiedergefunden«, sagte einmal eine ältere Frau zu Arthur, aber er verstand nicht, was sie damit sagen wollte. Doch das spielte auch keine Rolle. Nelson war da, die Geschäfte liefen prächtig, und Arthur war so zufrieden wie schon lange nicht mehr.
An diesem Nachmittag trat wieder einmal Liselotte Stubenrath an seinen Stand. Sie war auf dem Weg zu ihrer kleinen Theaterbühne, wo in wenigen Minuten die Vorstellung begann. Trotzdem nahm sie sich die Zeit, kurz stehen zu bleiben und Hallo zu sagen.
»Ihrer Katze scheint es hier ja zu gefallen«, stellte sie mit einem Lächeln fest. »Ein schönes Tier.«
»Es ist ein Kater. Er heißt Nelson.«
»Nelson. Was für ein zauberhafter Name. Haben Sie sich den ausgedacht?«
Arthur räusperte sich. »Nein, er hieß schon vorher so. Wozu sollte man ein Tier umbenennen?«
Liselotte wandte sich dem Kater zu. Sie streckte vorsichtig die Hand über die Krippenfiguren hinweg und kraulte Nelson am Hals. Er ließ sie gewähren, schloss die Augen zu kleinen Schlitzen und begann zu schnurren.
»Dir gefällt es hier, nicht wahr, mein Kleiner?«, meinte Liselotte. »Ein ganz Hübscher bist du.«
Arthur wunderte sich. Sonst brauchte Nelson immer erst eine Weile, bevor er genug Zutrauen gefasst hatte, um sich streicheln zu lassen. Bei Arthur selbst war das nicht annähernd so schnell gegangen. Offenbar mochte Nelson diese Märchenerzählerin.
Liselotte konnte sich ganz darin verlieren, das Tier zu streicheln. Arthur fühlte beinahe so etwas wie Besitzerstolz, als er ihr dabei zusah, dabei war Nelson doch frei und konnte jederzeit kommen und gehen, wie er wollte.
»Sie haben gleich einen Auftritt, nicht wahr?«, versuchte Arthur ein Gespräch aufzunehmen.
»Ja, und ich fürchte, ich muss mich langsam beeilen.«
Sie sahen zu der kleinen Bühne. Heute waren nicht viele Besucher auf dem Weihnachtsmarkt, und vor der Bühne hatten sich bislang erst zwei Kinder mit ihren Müttern eingefunden.
»Ich hoffe, dass noch ein paar Kinder hinzukommen«, sagte sie.
»Da bin ich mir ganz sicher«, meinte Arthur. »Und wenn nicht, dann wird es eben für diese beiden ein ganz besonderes Erlebnis.«
»Das haben Sie nett gesagt. Dann auf ein andermal, Arthur Hummel.«
Er lächelte. »Ja, auf ein andermal.«
Sie wandte sich ab und spazierte auf den Bühneneingang zu, wo sie gleich Perücke und Umhang anlegen würde. Arthur ertappte sich dabei, wie er ihr lange hinterhersah, ohne dass sein Lächeln aus dem Gesicht verschwinden wollte. Er schüttelte kräftig den Kopf.
Was tust du denn hier, du alter Esel!, schimpfte er mit sich. Du machst dich nur zum Idioten!
Hektisch begann er, Kisten auszupacken und Ware umzuräumen, nur um irgendetwas zu tun und auf andere Gedanken zu kommen. Nelson verzog sich auf das Kissen neben dem Öfchen und blickte von dort verwundert zu Arthur hinauf. Er verstand wohl nicht, was es mit der plötzlichen Betriebsamkeit auf sich hatte.
Etwas
Weitere Kostenlose Bücher