Nelson, das Weihnachtskaetzchen
anderes mehr übrig. Er musste tanzen.
»Du merkst, ich komme hier nicht raus«, sagte er und lächelte verlegen. »Darf ich bitten, schöne Frau?«
Liselotte reichte ihm die Hand und ließ sich zur Tanzfläche führen. Begleitet wurden sie von herzlichem Lachen und Schulterklopfen.
Sanft legte Arthur seine Hand um ihre Hüfte. Er hatte ein bisschen Angst zu versagen, doch nach den ersten Schritten merkte er, das Tanzen funktionierte immer noch einwandfrei. Es war eben doch wie Fahrradfahren. Liselotte lachte, ihre Augen leuchteten, und schließlich legte sie ihren Kopf auf seine Schulter.
Nach einer Weile fragte sie: »Wie geht es Nelson?«
»Großartig. Er macht sich prächtig.«
»Das freut mich. Er ist so ein hübscher Kater.«
Sie bewegten sich im langsamen Rhythmus der Musik. Arthur dachte an das Suchplakat, das er am Baum entdeckt hatte. Doch dann entschied er, es aus seinen Gedanken zu verbannen. Er wollte den schönen Moment genießen. Und dabei glauben, Nelson gehörte ihm.
»Ich habe dich beim Märchenerzählen beobachtet«, sagte er leise in ihr Ohr. »Die Kinder lieben dich, das sieht man sofort. Und ich glaube, du liebst es auch, auf der kleinen Bühne zu stehen, habe ich recht?«
»Oh ja, das tue ich. Und ich liebe die Kinder.«
»Hat dein Mann dich eigentlich schon mal hier besucht?«
Sie hob den Kopf und sah ihn an. In ihrem Lächeln lag ein ganz klein wenig Trauer.
»Mein Mann ist seit zehn Jahren tot.«
»Oh, das tut mir sehr leid.«
»Nein, nein. Ist schon gut.« Sie legte den Kopf wieder an seine Schulter. »Er hatte einen Herzinfarkt. Er war sofort tot. Der Stress war schuld. Er hat immer so viel gearbeitet.« Jetzt lag sie butterweich in seinen Armen. »Er fehlt mir immer noch, jeden Tag. Aber das Leben geht weiter. Ich habe verstanden, was es mit diesem Satz auf sich hat.«
Arthur wusste nicht, was er darauf sagen sollte. Er hielt sie einfach im Arm und tanzte.
»Wie lange ist deine Frau schon tot?«, fragte sie.
Er geriet ins Stolpern. Sie hob den Kopf und sah ihn an.
»Wie bitte?«, fragte er perplex.
»Entschuldigung. Ich wollte dir nicht zu nahe treten.«
»Nein, nein. Es ist nur … woher weißt du das?«
»Das sehe ich an deinem Blick. Ich schätze, es ist noch nicht so lange her, dass sie gegangen ist, nicht wahr?«
»Drei Jahre«, sagte Arthur. »Trotzdem fühlt es sich an, als wäre es gestern gewesen.«
»Ich weiß.«
Sie schwiegen. Ließen sich von der Musik davontragen.
»Sie hieß Sophie«, sagte Arthur schließlich. Tränen traten in seine Augen. »Sie war wunderbar.«
Danach sagten sie nichts mehr. Arthur genoss die Nähe. Diesen Moment. Es war, als würde eine Kruste aufbrechen. Als gäbe es plötzlich wieder Liebe in seinem Leben. Mit einem Mal wünschte er sich, das Lied würde niemals aufhören.
20
Nach dem Abendessen räumte Anna die Küche auf, putzte über Tisch und Anrichten und stellte die Spülmaschine ein. Ein leises Surren erfüllte den Raum. Neben dem Herd stand immer noch das Backbuch, das sie fürs Plätzchenbacken aus dem Schrank geholt hatte. Sie betrachtete es nachdenklich. Im Grunde hatte sie gar keine Lust mehr auf die Weihnachtsbäckerei. Am liebsten würde sie einfach in den Supermarkt fahren und industriell gefertigte Kekse kaufen. Doch wo sollte das hinführen? Sie konnten Weihnachten ja nicht einfach ausfallen lassen. Die Vorbereitung brauchte nun mal etwas Liebe und Begeisterung. Sonst konnte dieses so genannte Fest der Liebe ganz schnell zu einem Albtraum werden. Anna musste sich eben zusammenreißen und weitermachen. Irgendwie würden sie es schon ohne Streit und Ärger über die Bühne bekommen. Sie musste einfach dafür sorgen, dass alles perfekt war.
Sie nahm das Backbuch und stellte es auf das Fensterbrett. Auf der anderen Straßenseite leuchtete das Haus der Grünbergs im weihnachtlichen Glanz. Dorothee hatte wunderschönen Fensterschmuck besorgt und alles liebevoll dekoriert. Auch der Garten war nun ein Lichtermeer. Ob Marie sich darüber freuen konnte? Oder war sie immer noch am Boden zerstört? Anna dachte daran, wie Marie sie angeschrien hatte. »Geh weg!«, hatte sie gerufen. Und: »Du hast es mir versprochen!«
Sie konnte dem Kind keinen Vorwurf machen. Anna hatte tatsächlich versprochen, Nelson wiederzubringen. Sie wusste selbst nicht, wieso sie sich dazu hatte hinreißen lassen, denn sie hätte es eigentlich besser wissen müssen. Aber dann waren da Maries Verzweiflung und ihre traurigen Augen gewesen, und
Weitere Kostenlose Bücher