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Nelson DeMille

Nelson DeMille

Titel: Nelson DeMille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das Vermächtnis
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eine neue Stichstraße zu einer anderen Hauptstraße angelegt, sodass man auf diesem Teil des Grundstücks nichts von den Bewohnern dieses Neureichenghettos zu hören oder sehen bekam. Nun ja, das mag ein bisschen versnobt klingen, aber es ist nicht mein Problem.
    Auf den ursprünglichen Ländereien der Stanhopes befand sich nach wie vor ein klassischer, runder und nicht jugendfreier Liebestempel, der eine Statue der nackten Venus und eine Statue des gleichfalls nackten Priapos beherbergte, dem griechischen Gott der Ständer. Susan und ich hatten in diesem Tempel ein paar klassische Themen in Szene gesetzt, und soweit ich mich entsinnen kann, war sie einmal eine Jungfrau, die den Tempel aufsuchte, um Venus um einen geeigneten Ehemann zu bitten, und ich war ein Zenturio mit Erektionsstörung, der bei Priapos um eine Latte beten wollte. Wie alle unsere Phantasien nahm auch diese ein glückliches Ende. Unsere richtige Ehe leider nicht.
    Als ich mich dem Herrenhaus näherte, fragte ich mich, was Amir Nasim wohl von diesem heidnischen Tempel hielt und ob er die Statuen verhüllt, entfernt oder zerstört hatte. Apropos Kampf der Kulturen.
    Ich parkte den Taurus unter dem großen, mit Säulen bewehrten Portikus von Stanhope Hall, saß da und dachte, dass ein John Whitman Sutter in der nahezu verschwundenen Welt von eingefleischtem Brauchtum und Protokoll - heutzutage Hackordnung genannt - nicht vom Pförtnerhaus zum Herrenhaus gegangen wäre, um Amir Nasim zu besuchen. Und vielleicht hatte ich es deshalb bis jetzt aufgeschoben.
    Ich saß im Auto und dachte, dass ich mich lieber verziehen sollte. Aber ich tröstete mich damit, dass mein Besuch unangekündigt sein würde und ich daher meinen Status und meine Ehre wahrte, soweit noch etwas davon übrig war.
    Zum Thema Würde wahren, während man die unlängst eingefallenen Barbaren, die jetzt in der Villa wohnen, um einen Gefallen bittet, fiel mir Susans Lieblingsspruch des heiligen Hieronymus ein: Die römische Welt geht unter, doch wir halten unsere Häupter aufrecht...
    Ich stieg aus dem Auto, lief die Granittreppe zwischen den klassizistischen Säulen hinauf und klingelte.
    14
    Eine junge Frau - möglicherweise eine Iranerin - in einem schwarzen Kleid öffnete die Tür, worauf ich mich vorstellte: »Mr John Sutter möchte Mr Amir Nasim sprechen.«
    An dieser Stelle hätte die Hausbedienstete normalerweise gefragt: »Erwartet er Sie, Sir?«
    Und ich hätte erwidert: »Nein, aber wenn es nicht ungelegen kommt, möchte ich ihn wegen einer persönlichen Angelegenheit sprechen.« Dann würde ich ihr meine Visitenkarte überreichen, sie würde mich ins Foyer führen, verschwinden und ein paar Minuten später mit einer Antwort zurückkehren.
    In diesem Fall jedoch verfügte die junge Frau nicht nur über beschränkte Sprachkenntnis, sondern auch über beschränkte Erfahrung, denn sie erwiderte: »Sie warten«, und schloss die Tür vor meiner Nase. Folglich klingelte ich erneut, und sie öffnete die Tür, worauf ich ihr meine Karte überreichte und in scharfem Tonfall sagte: »Geben Sie ihm die. Verstanden?«
    Sie schloss erneut die Tür, und ich stand da. Innerhalb von drei Tagen war das bereits meine dritte Begegnung mit einer Person, die von meiner Muttersprache überfordert war, und allmählich wurde ich ungehalten. Ich konnte fast verstehen, dass Anthony gegenüber der jungen chinesischen Bedienung die Beherrschung verloren und sich über den Untergang des römischen Reiches ausgelassen hatte. Die Goten, Hunnen und Vandalen haben wahrscheinlich immerhin Latein gelernt, als sie das Imperium überrannten. Veni, vidi, vici. So schwer ist das doch nicht.
    Ich wartete etwa fünf Minuten, dann wurde die Tür wieder geöffnet und ein großer, schlanker Gentleman mit dunklem Gesicht und grauem Anzug, der meine Karte in der Hand hielt, sagte: »Ah, Mr Sutter. Wie schön, dass Sie mich besuchen.« Er streckte die Hand aus, ich schlug ein, und er bat mich, einzutreten.
    »Ich wollte gerade Tee trinken«, sagte er zu mir. »Leisten Sie mir Gesellschaft?«
    Ich wollte keinen Tee, aber da ich ihn eine Zeitlang in Beschlag nehmen musste, war wohl doch Teestunde angesagt. »Danke, gern«, erwiderte ich. »Ausgezeichnet.«
    Ich folgte ihm in das riesige, aus Granit gemauerte untere Vestibül, das als eine Art Transitbereich für eintreffende Gäste konstruiert war. Früher hätten hier die Hausdiener den Gästen die Hüte, Mäntel, Gehstöcke und was sonst noch alles abgenommen und sie

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