Nelson DeMille
Gefängnis zu bringen. Daher war Anthonys Amtszeit möglicherweise von kurzer Dauer, und sich in seiner Nähe aufzuhalten konnte gefährlich sein.
Aber irgendwie dachte Anthony, ich könnte ihm bei diesen Problemen helfen, so wie ich seinem Vater geholfen hatte. Sollte ich mich geschmeichelt fühlen?
Die Geschichte kann sich durchaus wiederholen, wenn alle sich darum bemühen, die gleichen dummen Fehler noch mal zu machen. Und dennoch zieht uns irgendetwas zum Vertrauten zurück, denn selbst wenn das Vertraute nicht gut ist, so ist es doch wenigstens vertraut.
Binnen einer Viertelstunde war ich auf der Grace Lane - Anthony Bellarosas Geschenk an seine Nachbarn -, und meine Scheinwerfer beleuchteten die schimmernde neue Asphaltdecke, die sich vor mir erstreckte. Ein Vers aus dem Matthäusevangelium kam mir in den Sinn: Denn die Pforte ist weit, und der Weg ist breit, der zur Verdammnis führt.
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Tags darauf, am Donnerstag, zogen Gewitter auf, die einen guten Hintergrund für das Aussortieren und Verbrennen von Akten abgaben, und am späten Nachmittag hatte ich einen Großteil der Aufgabe erledigt, die beschwerlich und ab und zu auch traurig war.
Um achtzehn Uhr belohnte ich mich mit einer Flasche Banfi Brunello di Montalcino und Panini Bolognese, setzte mich dann in Georges Lehnsessel und las die New York Times. John Gotti, das ehemalige Oberhaupt der Familie Gambino, lag im Krankenhaus der Hochsicherheitsbundesstrafanstalt in Springfield, Missouri, wo er eine lebenslange Freiheitsstrafe ohne Aussicht auf Bewährung verbüßte, und war dem Tode nah.
Ich fragte mich, ob und inwiefern das Auswirkungen auf Mr Anthony Bellarosa hatte, dann fragte ich mich, warum ich mich das überhaupt fragte.
Unwillkürlich musste ich auch darüber nachdenken, warum nach wie vor junge Männer in dieses Geschäft einstiegen, obwohl sie wussten, dass fast alle Karrieren in ihrer großen Famiglia durch einen frühen Tod oder Inhaftierung endeten. Nun ja, vielleicht war das besser als eine Rentnerkolonie in Florida. Und mit Sicherheit war es nicht mein Problem.
Ich dachte auch kurz über die zweihunderttausend Dollar nach, die mir Anthony für ein bisschen Rechtsbeistand geboten hatte, und an meinen Anteil, falls es mir gelingen sollte, ein paar der von den Bundesbehörden beschlagnahmten Bellarosa 'sche n Vermögenswerte zurückzubekommen. Anthonys Worten zufolge hatte ich die zweihundert Riesen bereits so gut wie in der Tasche, aber ich wusste, dass das nur der Blinker war, der mich - den Fisch - zu den potenziellen Millionen - dem Köder - locken sollte, in denen ein spitzer Haken verborgen war.
Daran war nichts Illegales oder gar Unethisches; Fische und Anwälte müssen essen. Das Problem war der spitze Haken. Man musste vorsichtig sein.
Genau genommen durfte man gar nicht darüber nachdenken.
Am Freitag war es ebenfalls regnerisch, und mittags hatte ich meinen Papierkram nahezu geordnet und verstaut, bereit zum Abtransport nach irgendwohin, sobald Ethel verstaut und abtransportiert war. Danach musste ich meine persönlichen Habseligkeiten - alte Army-Uniformen, Segelpokale, Bücher, Schreibtischutensilien und so weiter und so fort - zusammentragen und einpacken. Wie hatte ich überhaupt zehn Jahre ohne das Zeug leben können?
Außerdem hatte ich ein paar Dokumente und Papiere, die Susan betrafen oder gehörten, sowie einige Fotos von ihrer Familie gefunden, und da ich nicht an die Stanhopes - allen voran William, Charlotte und ihr nichtsnutziger Sohn Peter -erinnert werden wollte, steckte ich die Bilder zusammen mit Susans Papieren in einen großen Umschlag; lediglich die Art der Zustellung musste noch geklärt werden.
Nachmittags klarte es auf, und ich nutzte die Gelegenheit und joggte am Long Island Sound entlang. Eine große Slup mit Gaffeltakelung war draußen auf dem Wasser, und ich blieb am Fox Point stehen und sah zu, wie sie unter prallen Segeln in Richtung Osten glitt und der Bug mühelos durch die Schaumkronen schnitt.
Ich sah den Skipper am Ruder stehen und wusste, dass er lächelte, obwohl ich sein Gesicht aus der Entfernung nicht erkennen konnte.
Ich bezweifelte, dass ich jemals wieder auf See gehen würde, obwohl sie mich hin und wieder lockte. Aber wie jeder Seemann weiß, geht die Liebe zur See nur allzu oft tödlich aus.
Zurück im Pförtnerhaus, bemerkte ich gegen sechzehn Uhr zufällig einen grauen Mercedes, der durch das Tor kam und von einem Mann gesteuert wurde, bei dem es sich vom Aussehen her um
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