Nelson DeMille
du wirklich eine Unterkunft brauchst, kannst du gern mein Gästezimmer benutzen.«
»Danke. Ich würde allerdings darauf bestehen, dir eine Miete zu bezahlen, die diesem mickrigen Unterhalt entspricht. Ich habe diese Unterkunft noch eine Weile, dann muss ich zurück nach London und dort alles regeln.«
Sie nickte, worauf wir uns wieder dem Papierkram widmeten.
Ich stieß auf eine vom 23. August 1943 datierte Urkunde, derzufolge Mr Augustus Stanhope, Grundbesitzer, Mrs Ethel Hope Allard, Hausbedienstete, und ihrem Mann, Mr George Henry Allard, der damals bei den Streitkräften der Vereinigten Staaten in Übersee diente, ein lebenslanges kostenfreies Mietrecht gewährte. Folglich konnte ich die Vermutung anstellen, dass Mr Stanhope und Mrs Allard vor diesem Datum eine intime Beziehung eingegangen waren, die zu dieser großzügigen Gewährleistung führte. Rein rechtlich gesehen, beruhte diese Gewährleistung offensichtlich auf der wiederholten Annahme von Gegenleistungen, auch wenn diese speziellen Gegenleistungen von Mrs Allard an Mr Stanhope in dem Dokument nicht offen angeführt waren.
Hatte seinerzeit eigentlich irgendjemand Augustus Stanhopes Großzügigkeit in Frage gestellt? Selbst heute würde niemandem ein Licht aufgehen. Es sei denn natürlich, dieses Geheimnis war nur gewahrt worden, bis Augustus abnippelte, und Ethel hatte es anschließend William Stanhope unter die Nase gerieben, bevor er auf die Idee kam, die Allards abzuservieren oder von ihrem kargen Lohn Miete zu verlangen.
Ich fragte mich, wann George Allard erfahren hatte, dass er ein Leben lang mietfrei im Stanhope'schen Pförtnerhaus wohnen durfte. Und wie hatte es Ethel ihrem frischgebackenen Gatten beigebracht, als er aus dem Krieg zurückkehrte? »George, ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht.«
Auf jeden Fall erfuhr William irgendwann von diesem lebenslangen kostenfreien Mietrecht auf seinem frischgeerbten Besitz, und das war ein steter Dorn in seinem Fleisch, vor allem, als er das Anwesen zum Verkauf anbot und diese Verpflichtung bekanntgeben musste. Ich erinnerte mich, dass Frank Bellarosa, als er Stanhope Hall kaufte, ganz und gar nicht begeistert war, dass er Ethel - George war damals schon verstorben - weiter auf seinem Grund und Boden wohnen lassen musste. Aber Frank hatte es philosophisch genommen und gesagt: »Vielleicht bringt sie Glück. Und wie lange kann sie denn noch leben?« Antwort: Zehn Jahre länger als du, Frank.
Jedenfalls spielte dieses Dokument bei den anstehenden Angelegenheiten keine Rolle, deshalb schob ich es unauffällig wieder in den Ordner. Doch Elizabeth fragte: »Was war das?«
»Ach, das ist die Gewährleistungsurkunde über das lebenslange Mietrecht deiner Eltern. Sie muss hierbleiben, bis sie hinfällig ist.« »Darf ich sie sehen?«
»Tja ... klar.« Ich legte sie ihr vor, und sie las das einseitig bedruckte Dokument und gab es mir dann zurück. Ich sagte: »Als Nächstes haben wir -«
»Wieso hat Augustus Stanhope deiner Meinung nach meinen Eltern ein lebenslanges Mietrecht in diesem Haus eingeräumt?«
»Hier steht, für ergebene und treue Dienste.«
»Sie waren damals Mitte zwanzig.«
»Richtig. Von langjährigen Diensten ist nicht die Rede.« »Was begreife ich da nicht?«
Ach, das willst du gar nicht wissen, Elizabeth. »Du solltest deine Mutter fragen«, schlug ich vor. Ich blätterte ein paar Papiere durch. »Okay, hier haben wir die drei letzten Steuererklärungen deiner Mutter an den Bund -«
»Mom hat gesagt, es wäre eine Belohnung für langjährige Dienste.«
Da ich darauf entweder mit der schlichten Wahrheit oder einer fadenscheinigen Lüge antworten musste, entschied ich mich für keines von beiden und fuhr fort: »Du musst dich mit dem Buchprüfer deiner Mutter in Verbindung setzen ... « Ich warf ihr einen kurzen Blick zu und sah, dass sie auf das große, gerahmte Foto von ihren Eltern an ihrem Hochzeitstag schaute, das über dem Kamin hing.
»Deine Mutter hat eine voll eingezahlte Lebensversicherung mit einem Sterbegeld von zehntausend Dollar. Hier ist die Police, die solltest du an einem sicheren Ort verwahren.«
Elizabeth wandte den Blick von dem Foto und sagte: »Sie war sehr schön«
»Das war sie in der Tat. Und sie ist es noch immer.« »Mein Vater sah in der weißen Uniform so schmuck aus.«
Ich schaute auf das kolorierte Foto und pflichtete ihr bei: »Sie waren ein schmuckes Paar.«
Sie antwortete nicht, und als ich ihr wieder einen kurzen Blick zuwarf,
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