Nelson DeMille
ebenfalls wiedererkannte, geschrieben: Meine süße Frau, ich werde die Tage zählen, bis wir wieder beisammen sind.
Ich schob das Porträt zurück und schloss die Heckklappe. Nun ja, dachte ich, hoffentlich seid ihr bald wieder beisammen.
Ich dachte auch, vielleicht etwas zynisch, dass alle Ehen voller Hoffnung und Optimismus, Liebe und Sehnsucht anfangen, die Jahre aber ihren Tribut verlangen. Und in diesem Fall hatte Ethel im August 1943, vierzehn Monate nachdem diese Worte der Liebe und Hingabe geschrieben worden waren, vor der Einsamkeit oder der Lust kapituliert oder war von Geld und Macht verführt worden - oder aber, wenn ich an die Szene auf dem Friedhof dachte, als Ethel vor zehn Jahren von Georges Grab verschwunden war und ich sie an Augustus' Ruhestätte gefunden hatte, sie hatte sich tatsächlich in Augustus Stanhope verliebt. Oder alles zusammen.
Jedenfalls hatten sich Ethel und George zusammengerauft, das nächste halbe Jahrhundert gemeinsam verbracht und, wie ich glaube, glücklich in diesem Haus zusammengelebt, wo sie ihre Tochter aufzogen und zusehends leichtere Arbeiten auf dem großen Anwesen erledigten, dessen Mauern und einsame Ländereien die vordringende Außenwelt fernhielten und auf eine geheimnisvolle Art und Weise dafür sorgten, dass sie ein ewig junges Paar blieben, das sich hier kennengelernt, verliebt, geheiratet und sein Zuhause nie verlassen hatte.
Als ich den Gartenweg zwischen dem Pförtnerhaus und der Mauer entlangging, hörte ich hinter mir den Schotter knirschen. Ich drehte mich um und sah einen weißen Lexus SUV auf das offene Tor zufahren, gesteuert von Susan Stanhope Sutter.
Der Lexus wurde langsamer, und ich fing ihren Blick auf. Sie hatte den BMW natürlich gesehen und wusste möglicherweise, wem er gehörte, aber auch wenn das nicht der Fall sein sollte, war ihr klar, dass ich Gesellschaft hatte.
Es ist etwas unangenehm, mit der ehemaligen Liebe seines Lebens Blicke zu tauschen, wenn man ihr eigentlich nicht mehr in die Augen schauen will, und ich wusste nicht, was ich machen sollte. Winken? Einen Handkuss zuwer fen? Den Vogel zeigen? Ms Post, helfen Sie mir!
Susan war es, die fast beiläufig winkte, dann Gas gab, durch das Tor fuhr und mit quietschenden Reifen nach rechts auf die Grace Lane einbog.
Ich stellte fest, dass meine Laune schlechter geworden war.
Warum hat Susan Sutter nach wie vor die Macht, meinen Gemütszustand zu beeinflussen?
Ich musste eine ehrliche Antwort auf diese Frage finden, bevor ich den nächsten Schritt tun konnte.
19
Elizabeth und ich beluden ihren BMW mit den persönlichen Habseligkeiten ihrer Eltern, die sie an diesem Abend mitnehmen wollte, zum Beispiel Fotoalben, die Familienbibel und anderen Krimskrams, der ebenso unbezahlbar wie unersetzlich war. Alle anderen persönlichen Besitztümer, Georges Marineuniformen und Ethels Hochzeitskleid eingeschlossen, stapelten wir im Flur, damit sie ein andermal abtransportiert werden konnten.
Für Elizabeth war das natürlich sehr traurig, und auch ich ertappte mich dabei, dass ich über Leben und Tod nachdachte und über die Dinge, die wir zurücklassen.
Auf einem unserer Gänge zum Auto nahm sie ihren Kleidersack und einen Schminkkoffer mit und brachte sie ins Zimmer ihrer Mutter.
Als die Kuckucksuhr sechs schlug, saß Elizabeth im Schaukelstuhl ihrer Mutter im Wohnzimmer, und ich saß ihr in Georges Lehnsessel gegenüber. Auf dem Kaffeetisch lag die dreiseitige Inventarliste, auf der die meisten Gegenstände mittlerweile abgehakt waren. Außerdem standen dort zwei Weingläser, die mit Banfi Brunello gefüllt waren, einer der drei Flaschen mit toskanischem Roten, die ich nach meinem Abenteuer mit Anthony in Oyster Bay gekauft hatte, dazu etwas Käse, Kräcker und eine Plastikschale mit geschnittenem Gemüse. Ich hielt mich an den Brie.
Elizabeth nahm ein Stück Mohrrübe und sagte zu mir: »Du solltest etwas Gemüse essen.«
»An Gemüse kann man ersticken.«
Sie lächelte, knabberte an der Karotte und trank einen Schluck Wein. Wir waren beide müde und ein bisschen verschwitzt und staubig von den Abstechern in Keller und Dachboden, und wir brauchten eine Dusche.
Sie sagte zu mir: »Ich habe für halb acht im Creek reserviert. Ist dir das recht?« »Ich glaube, ich bin dort eine Persona non grata.«
»Wirklich? Wieso ...? Oh ... ich nehme an, als Susan ... «
Ich brachte ihren Satz zu Ende: »... ihren Mafia-Geliebten erschossen hat.« Ich lächelte. »Die sind dort ziemlich
Weitere Kostenlose Bücher