Nelson DeMille
tranken Kaffee. Die Sonne stand jetzt ein gutes Stück über der Mauer, und ihre Strahlen brannten sich durch den Dunst und fielen zwischen Bäumen hindurch in den Garten und auf den Patio. Es war ruhig, abgesehen vom Gezwitscher der Morgenvögel und einem gelegentlichen Fahrzeug auf der Grace Lane.
»Ich liebe diese Tageszeit«, sagte Elizabeth.
»Ich auch.«
Wir schwiegen eine Weile, genossen den Anbruch eines herrlichen Sommertages. Schließlich fragte sie mich: »Darf ich dir ein Geheimnis verraten?« »Natürlich.«
»Tja ... du hältst das vielleicht für albern ... und mir ist das auch ein bisschen peinlich ... aber als ich etwa ... um die sechzehn war, habe ich mich schwer in dich verknallt.«
Ich lächelte. »So?«
Sie lachte, dann fuhr sie fort: »Obwohl du verheiratet warst... habe ich manchmal an dich gedacht, wenn ich auf dem College war, und jedes Mal, wenn ich heimgekommen bin und dich gesehen habe ... doch dann wurde ich erwachsen und kam drüber weg.«
»Das ist gut. Ich hatte keine Ahnung.«
»Natürlich nicht. Ich habe nie geflirtet, oder?«
Ich dachte darüber nach. »Nein, hast du nicht.«
»Ich war ein braves Mädchen.«
»Bist du immer noch.«
»Tja ... lassen wir das lieber.«
Ich lächelte.
Elizabeth fuhr fort: »Und dann, als all das mit Susan und Frank Bellarosa geschah, konnte ich kaum glauben, was ich von meiner Mutter erfuhr, und als du hier eingezogen bist... später, nachdem Susan ihn erschossen hatte ... da wollte ich dich anrufen oder vorbeikommen. Ich bin sogar ein paarmal hier gewesen, um Mom zu besuchen, aber du warst nicht da ... und dann hat Mom gesagt, dass du wegwillst.«
Ich wusste immer noch nicht recht, was ich sagen sollte, doch ich erwiderte: »Das war sehr nett. Ich hätte jemanden gebrauchen können, mit dem ich reden konnte.«
»Ich weiß. Mom hat gesagt, du wärst... so verschlossen. Und ich war verheiratet, und ich war mir selbst nicht sicher, ob ich so betroffen war, weil ich eine Freundin der Familie war oder ... etwas anderes.«
»Ich verstehe. Ich fühle mich sehr geschmeichelt.«
»Wirklich? Tja, du bist zu bescheiden, John. Ich glaube, du bist weggegangen, weil sämtliche Frauen hinter dir her gewesen wären, sobald du getrennt warst. Du bist um dein Leben gelaufen.«
»Das stimmt.«
Sie lächelte, dann fuhr sie fort: »Und jetzt kommt der Rest von meinem Geheimnis - als ich hörte, dass du um die Welt segeln wolltest, habe ich mir gewünscht, du würdest mich mitnehmen.«
Ich schaute sie an, und sie erwiderte meinen Blick. »Ich wünschte, ich hätte das gewusst«, sagte ich, und es war nicht ganz unehrlich.
»Ich finde es sehr nett, dass du das sagst.«
»Naja, ich sage es nicht einfach so.«
»Ich weiß. Jedenfalls war es nur eine alberne Phantasie. Ich hatte einen Mann und zwei Kinder. Selbst wenn du gefragt hättest, hätte ich nein sagen müssen. Wegen der Kinder. Von Mom gar nicht zu reden. Ich glaube, sie war mir auf die Schliche gekommen und fand das ganz und gar nicht gut.«
Ich dachte über all das nach und auch darüber, wie schnell sich der Verlauf unseres Lebens ändern kann, wenn etwas gesagt wird oder nicht. Wir empfinden das eine und sagen etwas anderes, weil wir so erzogen wurden. Wir haben unsere Träume und Phantasien, obwohl wir uns selten dementsprechend verhalten. Wir alle sind, glaube ich, eher ängstlich als hoffnungsvoll und eher opferbereit - wegen der Kinder, des Partners, des Jobs, der Gemeinschaft - als egoistisch. Und das, nehme ich an, ist im Großen und Ganzen auch gut so zum Erhalt einer zivilisierten Gesellschaft. Wenn sich jeder so verhalten würde wie Susan Sutter, würden wir alle schließlich unsere Liebhaber oder Partner erschießen, vielleicht auch beide, oder davonlaufen, um Liebe, Glück und ein Leben ohne jede Verantwortung zu finden.
So wütend ich auch auf Susan war, auf eine seltsame Art und Weise beneidete ich sie um ihre Leidenschaftlichkeit, ihre Fähigkeit, sich von ihrer strengen Erziehung und den erdrückenden Konventionen ihrer Gesellschaftsschicht zu befreien. Oder sie war einfach durchgeknallt.
Und als sie gegen die Regeln verstieß, verstieß sie auch gegen das Gesetz. Mord. Sie hatte einen Freifahrschein bekommen, aber dafür eine überfällig e Rechnung bei Mr Anthony Bella rosa offen, und möglicherweise wollte er sie nun bezahlt haben.
»Woran denkst du?«, fragte mich Elizabeth.
»Weshalb sich manche Menschen nicht an Regeln halten. Und Risiken eingehen. Und mehr auf ihr
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