Nelson DeMille
zurückkehren oder irgendwo anders hingehen sollte.
Folglich musste ich mit Susan sprechen, um diese Themen aus der Welt zu schaffen und festzustellen, inwieweit - oder wie wenig - sie dabei eine Rolle spielte.
Ich trank mein Bier aus, legte die Füße auf den Tisch und blickte zum dunkler werdenden Himmel auf. Die Lichtbelästigung durch die vordringenden Wohngebiete tauchte den Horizont in einen künstlichen Schein, aber über mir sah alles genauso aus, wie ich es in Erinnerung hatte; ein herrliches, wasserfarbenblaues und rosiges Zwielicht, und im Osten funkelten die ersten Sterne am lila Himmel.
Das Knirschen des Schotters, über den ein Fahrzeug rollte, riss mich aus meiner Sternenguckerei, und ich drehte mich um, als es das Pförtnerhaus passierte, und sah, dass es ein weißer Lexus SUV war. Er hielt kurz an, bevor er langsam in Richtung Gästehaus weiterfuhr.
Ein Jahrzehnt lang hatten uns Ozeane und Kontinente voneinander getrennt, und jetzt lagen nur ein paar Minuten Fußweg zwischen uns, die durch Wut, Stolz und Geschichte jedoch schwerer zu überwinden waren als Kontinente und Ozeane.
Ich hatte immer das Gefühl gehabt, dass wir uns überstürzt getrennt hatten, ohne uns ganz darüber im Klaren zu sein, warum wir getrennte Wege gehen wollten, und infolgedessen, glaube ich, war keiner von uns in der Lage, weiterzukommen. Wir mussten uns mit der Vergangenheit auseinandersetzen, egal, wie schmerzhaft das sein würde. Und jetzt war der richtige Zeitpunkt dazu.
20
Als die Sonne über die Mauer des Anwesens stieg und durch das Küchenfenster fiel, brühte ich eine Kanne Kaffee auf und nahm eine Tasse mit nach draußen auf den Patio, wo ich vier leere Bierflaschen auf dem Tisch zählte.
Ich hatte voll bekleidet auf der Couch geschlafen und war nur einmal die Treppe hochgestiegen, um auf die Toilette zu gehen. Soweit ich wusste, war Elizabeth nicht heruntergekommen.
Ich trank einen Schluck Kaffee aus der dampfenden Tasse und betrachtete den morgendlichen Dunst, der von Rasenflächen und Garten aufstieg.
Wie wir auf dem College zu sagen pflegten: »Vögeln ist nichts Besonderes, aber Nichtvögeln ist etwas ganz Besonderes.«
Wenn ich das Ganze positiv betrachtete, war es der richtige Schritt. Keine Verwicklungen, keine Komplikationen.
Andererseits - ob Sex oder nicht - hatten Elizabeth und ich in gewisser Hinsicht zueinandergefunden. Ich mochte sie, sie gehörte zu meiner Vergangenheit und daher möglicherweise auch zu meiner Zukunft. Ich hatte zehn Jahre mit Fremden geschlafen; es könnte schön sein, mit jemandem zu schlafen, den ich kannte. Jetzt hatte ich zumindest einen Ort, an dem ich meine Habseligkeiten einlagern konnte, und ein Gästezimmer, falls ich eines brauchte. Und mit etwas Glück hatte ich eine Freundin.
Ich hörte das Fliegengitter knarren, drehte mich um und sah Elizabeth, die meinen alten Bademantel übergezogen und eine Tasse Kaffee in der Hand hatte, barfuß über den taunassen Patio laufen.
Sie gab mir einen Kuss auf die Wange und sagte: »Guten Morgen.«
»Guten Morgen.«
»Hast du gut geschlafen?«
»Hab ich. Und du?«
»Ich ... es war seltsam, in meinem alten Zimmer zu schlafen. Ich hatte ziemlich traurige Träume ... von mir, als kleines Mädchen ... und von Mom und Dad ... Ich bin ein paarmal aufgewacht und habe geweint.«
Ich nickte und schaute sie an, und plötzlich hielten wir Händchen. Sie wirkte immer noch tief betrübt, dann schien sie sich davon loszureißen und sagte: »Kennst du dieses Gedicht? >Kehr um, o Zeit, in sausender Pracht, lass mich Kind wieder werden nur für heut Nacht<.«
»Habe ich schon mal gehört.«
»Genau das habe ich letzte Nacht gedacht.«
Ich nickte und drückte ihre Hand.
Sie sagte: »Ich dachte, du würdest hochkommen.«
»Glaub mir, ich habe daran gedacht.«
Sie lächelte. »Tja, ich glaube, mir war nicht nach Zärtlichkeit zumute.«
»Nein. Du wolltest wieder ein Kind sein, nur für eine Nacht.«
Sie schaute mich an, nickte, dann sagte sie: »Aber ... ich wollte deine Gesellschaft. Deshalb bin ich runtergekommen. Du lagst schnarchend auf der Couch.«
»Schnarche ich?«
»Herrgott, ich dachte, du lässt den Staubsauger laufen.« Ich lächelte. »Nach Rotwein schnarche ich immer.«
»Kein Rotwein mehr für dich.« Sie betrachtete die leeren Bierflaschen. »Hattest du gestern noch Gäste?«
Ich lächelte erneut und erwiderte: »Ich habe Nacktschnecken vernichtet.«
Wir saßen am Tisch, hielten immer noch Händchen und
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