Nelson DeMille
Ich ging in mein Zimmer und sah sie in meinem Sessel sitzen, die Beine übergeschlagen, während sie einen Schluck Wein trank, meine Zeitung las, mein Yale-T-Shirt trug und ansonsten nicht viel, von ein bisschen Make-up einmal abgesehen.
»Das Hemd steht dir gut«, sagte ich.
»Ich hoffe, du hast nichts dagegen.«
Ich glaube, ich wusste, worauf das hinauslief.
Ich nahm meinen Wein, setzte mich gegenüber von ihrem Sessel aufs Bett, worauf wir anstießen und tranken, ohne etwas zu sagen.
Sie blickte sich in dem kleinen Raum um, betrachtete die alten Möbel, die verblasste Tapete, den abgetretenen Teppich und die von der Sonne gebleichten Vorhänge. Schließlich sagte sie: »Hier habe ich den Großteil meiner ersten einundzwanzig Lebensjahre verbracht.«
Ich antwortete nicht.
»In den Schulferien bin ich immer heimgekommen«, fuhr sie fort, und ich hörte, dass ihre Stimme ein bisschen müde und verschliffen klang. »Es kam mir immer wie ein Zuhause vor ... es war immer da ... und jetzt wird es Zeit, weiterzuziehen.«
Ich nickte.
»Ich würde heute Nacht gern hier schlafen.« »Natürlich.«
Sie streckte die Beine aus und legte mir ihre Füße auf den Schoß. »Meine Füße schmerzen von der ganzen Lauferei.«
Ich stellte meinen Wein ab und massierte sie. Sie legte den Kopf zurück, schloss die Augen und murmelte: »Oooh ... das tut sooo gut.«
Ihr T-Shirt - mein T-Shirt - war hochgerutscht, und ich sah, dass der Teppich zu den Vorhängen passte.
So weit war ich auch schon mal gewesen, und mir war nie ganz wohl dabei, wenn ich meinen Federhalter ins Tintenfass einer Mandantin tauchte. Aber Elizabeth war auch eine Bekannte und eigentlich gar keine Mandantin und ... tja, die Grenze war bereits überschritten. Daher ... ich meine, an dieser Stelle nicht weiterzumachen, wäre unhöflich.
Sie hielt mir ihr leeres Glas hin, und ich goss nach.
Es war neunzehn Uhr, draußen war es noch immer hell, und eine angenehme Brise und Vogelgezwitscher drangen durch das offene Fenster. Ab und zu hörte ich ein Auto auf der Grace Lane vorbeifahren, doch niemand bog auf die geschotterte Zufahrt ein.
Sie trank ihren Wein aus, legte mir die Arme um die Schultern und drückte ihr Gesicht an meine bloße Brust.
Ich legte die Arme um sie und spürte, dass sie schlaff war und kaum stehen konnte - im Gegensatz zum bösen John, der nicht schlaff war, sondern in voller Größe stand. Ich hob sie hoch und legte sie aufs Bett, sodass ihr Kopf auf dem Kissen ruhte.
Sie starrte zur Decke hoch, dann traten ihr Tränen in die Augen.
Ich holte ein paar Papiertücher aus einer Schachtel auf dem Nachttisch und drückte sie ihr in die Hand, dann sagte der gute John: »Warum schläfst du nicht ein bisschen?«
Sie nickte, und ich nahm den Quilt am Fußende des Bettes und breitete ihn über sie.
»Tut mir leid«, sagte sie. »Kein Grund.«
»Ich möchte ... aber es ist einfach ... zu viel. Alles. Ich bin zu traurig.« »Das ist mir klar.« Außerdem war mir klar, dass Elizabeth möglicherweise über ihre Beziehung zu Susan nachdachte, womit wir schon zu zweit waren. »Vielleicht später«, sagte sie. Ich antwortete nicht. »Ich mag dich.« »Ich mag dich.«
Ich öffnete einen kleinen Schrank, fand eine Khakihose und ein Golfhemd und holte mir eine Unterhose aus der Schublade. Ich nahm mein Handtuch ab und sah, dass sie mich betrachtete. »Wohin gehst du?«, fragte sie.
»Nach unten.« Ich zog Unterhose, Hose und Hemd an. »Brauchst du irgendwas?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Bis später.« Ich ging zur Tür.
»Gib mir einen Gutenachtkuss«, sagte sie.
Ich ging zurück zum Bett, gab ihr einen Kuss auf die Wange, dann auf die Lippen und wischte ihr mit einem Papiertuch die Augen ab, dann verließ ich das Zimmer und schloss die Tür.
Ich ging nach unten, holte mir ein Bier aus dem Kühlschrank und setzte mich auf den Patio. Die Abendluft wurde kühl, und die untergehende Sonne warf lange Schatten auf den Rasen. In der Ferne, falls ich denn hinschauen wollte, war Susans Haus, und mir wurde klar, dass es Susans Nähe und ihre Gegenwart waren -buchstäblich wie im übertragenen Sinne -, die mich in den gleichen Konflikt stürzten, der wahrscheinlich Elizabeth zu schaffen machte.
Und meine Konflikte und Unentschlossenheiten gingen weit über das Thema Frauen hinaus; meine Verhandlungen mit Anthony Bellarosa wurden zum Beispiel durch Susans Gegenwart beeinflusst, desgleichen meine Unsicherheit, ob ich hierbleiben, nach England
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