Nelson sucht das Glück
Lucys warmen Körper gebeugt und roch ihr Blut, das auf den Gehsteig sickerte. Er versuchte, die Blutung der Wunde zu stoppen. Wenn sich junge Wölfe versehentlich bissen, was oft der Fall war, leckten ihre Mütter ihnen die Wunde. Der Speichel der Wölfe war wie eine natürliche Salbe für die Wunden, indem er die Blutung stoppte und Bakterien abtötete. Auf diese Art hielt auch Nelson Lucy am Leben. Stunden- und tagelang leckte er ihre Wunde und verhinderte damit, dass sie verblutete.
19
In den Tagen nach dem Angriff des Kojoten kämpfte Lucy um ihr Leben. Nelsons Wärme half ihr bei Nacht dabei, nicht zu erfrieren, und wenn es ihr am Tag schwerfiel, sich zu bewegen, brachte er ihr kleine Bissen zu essen. An dem Morgen nach dem Angriff hatte sie all ihre Kraft zusammengenommen und sich zu ihrem Schlafplatz in der Nähe der Entlüftungsrohre geschleppt, wobei sie eine Blutspur hinterließ. Doch in dieser Nacht hatte Nelson, der neben ihr Wache hielt, in der Nähe deutlich den Kojoten gerochen und sein Knurren durch den Nebel gehört. Er weckte Lucy und führte sie zur Rückseite des Restaurants, wo die Mülltonnen standen. Dort schien es ihm sicherer zu sein, weil es ein begrenzter und geschützter Platz war, obwohl Nelson dennoch den größten Teil der Nacht wach blieb und auf Lucy aufpasste.
Am folgenden Tag zogen sie zu einem kleinen Einkaufszentrum um, das ein paar Blocks entfernt lag und wo Nelson in einer ruhigen Seitenstraße die Abluftventile eines Waschsalons entdeckt hatte, die eine gewisse Wärme abgaben. Obwohl der Platz ihm sicherer schien, wurde Nelson immer wieder durch die Ausdünstungen des Kojoten geweckt, ob sie nun Wirklichkeit waren oder nicht. Manchmal roch auch Lucy ihren Peiniger und zitterte am ganzen Körper vor Angst. Nelson saß ganz still da, suchte mit Hilfe seiner Nase, aber auch mit den Augen und Ohren die Landschaft ab und beleckte Lucy dabei, um sie zu beruhigen. Denn in der Tat hatte der Kojote den Geschmack von Lucys Blut nicht vergessen, und ihn gelüstete nach mehr.
Lucy war von Nelson abhängig, was das Futter anging. Oft legte er den Weg zum Müllplatz des Restaurants mehrfach zurück und machte das Fressen zu einer Art neuem Spiel. Dann platzierte er ein Stück halb gegessenes Huhn oder Steak einen halben Meter von ihr entfernt und knurrte leise, als wollte er den Leckerbissen vor ihr verteidigen, damit sie sich bemüßigt fühlte, ihn sich zu holen. Wenn sie dann entsprechend reagierte, leistete er nur geringen Widerstand, und sie schnappte ihm das Futter weg.
Nelsons Gedanken bestanden aus Gerüchen und Gefühlen, die durch eine einzigartige Sprache in seinem Hundeherz verwoben waren. Und deshalb artikulierte er auch nie, so wie ein Mensch es getan hätte, was für ein Gefühl des Verlusts sich angesichts der Wandlung von Lucy seiner bemächtigte. Doch während die Erinnerung an den Angriff des Kojoten immer noch in ihm lebendig war, hatte sich seine Gefährtin grundlegend verändert. Ihr Spiel war weniger intensiv geworden und die Energie und Lebhaftigkeit der Hündin nur noch ein schwacher Abklatsch ihres früheren Wesens. Ihre Traurigkeit ließ Nelson nicht unberührt. Und langsam machte sich ein leises Unbehagen in ihm breit.
Des Nachts träumte er oft intensiv von Katey. Es waren Träume von ihrem Duft, von dem Geruch ihres Hauses und ihres Pianos, und so empfand er manchmal im Schlaf eine Art von Ekstase, als hätte ihn seine große Liebe zu sich gerufen. Dann spielte er endlos mit ihr und seiner hässlichen Spielzeugratte, und ihr ferner Duft waberte durch seine Sinne. Er sah ihr Gesicht direkt vor sich, ihre braunen Augen funkelten, ihr Lächeln war breit und lebhaft. Doch dann wurde die Spielzeugratte auf einmal zu einer richtigen Ratte, die sich in seinem Mund wand, so dass er sie nicht mehr in seinem kleinen Kiefer halten konnte. Wenn sie sich befreit hatte, biss sie Katey. Dann griff Nelson die Ratte an, um sein Frauchen zu beschützen, doch plötzlich waren seine Glieder wie gelähmt. Die Ratte verwandelte sich in einen riesigen, kräftigen Kojoten. Der sprang auf Katey zu und drückte sie zu Boden. Das war der Moment, in dem Nelson zitternd aufwachte. Seine große Liebe war irgendwo weit, weit weg, unerreichbar, ganz gleich, wie tief seine Sehnsucht nach ihr war. Ein Loch bildete sich in seinem Hundeherz, ein tiefes, schwarzes Loch, das um die Oberhand über seine neugierige, seine spielerische und edle Natur kämpfte und zum Teil seines Lebens wurde, ein
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