Nelson sucht das Glück
und oft genügte es, dass sich ihre Stimmung hob, damit es ihnen besser ging. Und so waren die beiden Hunde, allen Widrigkeiten zum Trotz, glücklich miteinander.
Sie spielten, jagten einander, bellten sich an, bissen sich sanft. Ihr Spiel ähnelte sehr dem der jungen und heranwachsenden Wölfe, die nur wenige Kilometer von ihnen entfernt in den Wäldern lebten. Doch das Spielen miteinander prägte nicht nur einen Abschnitt ihres Lebens, sondern es war das entscheidende Merkmal ihres Daseins als Hund und tief in ihrer Seele verwurzelt. Nelsons und Lucys ähnliche Größe machte sie zu perfekten Spielkameraden. Keiner von beiden konnte bei ihren endlosen Kabbeleien die Oberhand gewinnen und versuchen, innerhalb ihres kleinen Rudels zum Alpha-Tier zu werden. Manchmal war Nelson für kurze Zeit der Rudelchef, doch lange dauerte das nie. Irgendwann kam etwas in Lucys Hundeherz zum Ausbruch, und sie erkämpfte sich ihre Dominanz über den Partner zurück. Nur während Lucys Läufigkeit, die alle vier Monate stattfand, erlangte Nelson eine Art wirklicher Dominanz, doch lange währte sie nicht.
Mit der Zeit wurde Lucys Geruch für Nelson so vertraut und tröstlich wie der von Katey und von Thatcher. Auch ohne wirkliches Zuhause schufen Nelson und Lucy sich eine Art tägliche Routine. Sie schliefen und fraßen jeden Tag am selben Ort. Einen großen Teil des Tages verbrachten sie auf einem sandigen Stück Brachland direkt vor der Stadt, an einer Kurve, die auf die Hauptstraße führte. Im Allgemeinen war es ruhig hier, und es war unwahrscheinlich, dass sie auf wohlwollende Menschen trafen, die sie einfangen und ins Tierheim bringen wollten. Und noch wichtiger, es war warm hier. Der Platz lag so, dass fast den ganzen Tag Sonne auf ihn schien, und weil er sandig war, verflüchtigte sich die Wärme auch nicht so schnell, wie es auf grasbewachsenem Gelände der Fall gewesen wäre. Im Sand konnten Nelson und Lucy nach Herzenslust buddeln, was vor allem die Hündin liebte, und ein geheimes Depot für die Knochen von Steakresten anlegen, die sie auf der Müllhalde des Restaurants fanden. Manchmal, nach einer besonders kalten Nacht, gruben sich die beiden Hunde in den warmen Sand ein, der sie ein wenig aufwärmte. Ganz langsam kehrte dann ihre Kraft zurück, sie krochen mit zerzaustem Fell aus ihrer improvisierten Höhle heraus, bis die Sonne tief am Himmel stand und sie in die Stadt aufbrachen, um die Nacht in der Nähe der warmen Entlüftungsrohre des Restaurants zu verbringen.
Auch der alte Mann, der ihnen jeden Tag etwas zu fressen brachte, gehörte zu ihrem festen Tagesablauf. Jeden Tag, wenn er an seinem Haus die Tür öffnete, wehte seine Witterung die Straße entlang, und die Hunde freuten sich auf das Mittagessen, das er ihnen bescherte. Es war ein warmer und nicht bedrohlicher Geruch, der von ihm ausging, obwohl Nelson auch noch etwas anderes an dem alten Mann wahrnahm. Es war ein sonderbares Aroma nach Zerfall und Alter, nach einer Krankheit, die in dem alten Mann heranwuchs. Nelson mochte den Geruch nicht besonders, und noch wusste er nicht, was er bedeuten würde.
Nelson und Lucy verbrachten einen Großteil ihrer Zeit damit, einfach nur die süße Luft von Kalispell einzuatmen und sie zu erkunden. Die alten Berge, der Wald und die Seen, die sich in einem Umkreis von Hunderten von Kilometern um die kleine Stadt erstreckten, trugen eine uralte, sich ewig wandelnde Geschichte der Gegend in sich wie ein Kaleidoskop. So wie in Albany im Gras, so steckte in der Luft von Kalispell eine lange und wunderschöne Mär vom Aufsteigen und Fallen der Berge und Flüsse, von den Pflanzen und all den anderen Geschöpfen, die an diesem schönen Fleckchen Erde aufgewachsen und dahingeschieden waren.
Nelson wusste nicht recht, was er mit dem Wolfsgeruch anfangen sollte, den seine feine Nase oft in der Luft von Kalispell erschnupperte. Zuerst dachte er, er rieche andere Hunde. Doch obwohl der Geruch eine ebenso große Anziehung auf ihn ausübte wie jeder andere Hundegeruch, war da auch etwas unbestimmt Bedrohliches an der Wolfswitterung, etwas im tiefsten Inneren dieses Dufts, das Nelson verwirrte. Manchmal drängte sich der Geruch nachts in seine Träume. Nelson wusste nicht, was er bedeutete, oder warum er immer wieder zu ihm zurückkam.
Mehrfach witterten Nelson und Lucy in den leichten Winden, die manchmal aus Montana kamen, auch Kojoten. Während der Geruch nach Wolf nur schwach und leicht muffig war wie der Duft, der einem alten
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