Nemesis 03 - Alptraumzeit
Aufmerksamkeit Judiths runden Pobacken zu. Viel besser fühlte ich mich dadurch aber nicht. Auch wenn ich noch immer nicht wusste, warum ich in Judith eine so plötzliche Abneigung, ja sogar Angst ausgelöst hatte, war beides bei ihr unbestreitbar immer noch vorhanden. Ich wusste nicht, ob es mir gelingen würde, ihr Vertrauen so weit zurückzugewinnen, dass sie mir in dieser Nacht auch nur freiwillig die Hand reichen würde. Und mit jeder Sekunde, in der ich sie beobachtete und sie am liebsten spontan in den Arm genommen hätte, schmerzte ihr ungerechtfertigtes Misstrauen noch mehr, denn ich verspürte wie ein ängstliches Kind das zunehmende Bedürfnis nach körperlicher Nähe und Geborgenheit.
Wir passierten einen klobigen Sicherungskasten, der mit mächtigen, rostigen Schrauben an der Wand zu unserer Rechten befestigt war; darin gab es gleich vier untereinander angebrachte Reihen mit erdnussgroßen Keramiksicherungen. Judith hielt irritiert inne, legte den Zeigefinger an die Lippen, obwohl niemand gesprochen hatte, und lauschte angestrengt.
»Hört ihr auch, was ich höre?«, fragte sie, stutzig geworden.
Ich lauschte ebenfalls und nickte schließlich, obwohl sie sich, wie ich mir einbildete, mit voller Absicht so hingestellt hatte, dass sie jeden ihrer Begleiter sehen konnte, nur nicht mich. Etwas summte. Es war ein leises, wie von einem modernen Computer stammendes elektronisches Summen, das ich wahrscheinlich überhaupt nicht wahrgenommen hätte, hätte sie mich nicht darauf aufmerksam gemacht; aber nun, da ich mich darauf konzentrierte, war es eindeutig da. Es kam aus der Richtung des Sicherungskastens.
Mein Blick tastete suchend über die Wand in unmittelbarer Nähe des Kastens und tatsächlich gab es auch hier einen der museumsreifen Drehschalter, wie wir sie auch schon am Anfang des Gangs erspäht hatten. Ich streckte den Arm aus und drehte ihn.
Ich hatte eigentlich nicht damit gerechnet, dass meine Handlung irgendetwas bewirken würde, außer vielleicht, dass der uralte Schalter abbrach und ich damit ein Relikt aus der Kriegs- oder Nachkriegszeit zerstörte, für das mir ein Liebhaber in einem Internetauktionshaus vielleicht noch ein paar schlappe Kröten geboten hätte, die ich zu dem Betrag beisteuern konnte, den ich wahrscheinlich für einen Psychotherapeuten aufbringen musste, sobald ich wieder hier heraus war – wenn ich dieses Gemäuer denn jemals lebend verlassen würde und man die kümmerlichen Ersparnisse von meinem Sparbuch nicht in eine schlichte Holztruhe und ein bescheidenes Holzkreuz für mich investieren würde. Doch den Bruchteil einer Sekunde nachdem ich den Porzellanschalter um neunzig Grad gedreht hatte und ein leises Klacken ertönt war, flammten sämtliche unter der gewölbten Decke angebrachten, ovalen Lampen auf und tauchten den gesamten Gang in gleißendes weißes Licht.
Noch nie hatte mich die logische Folge der Betätigung eines Lichtschalters so erschreckt wie in diesem Moment.
Geblendet hielt ich mir den Unterarm vor die Augen und blinzelte vorsichtig an ihm vorbei zur Decke. Auch die anderen legten perplex die Köpfe in den Nacken.
Maria fand ihre Sprache als Erste wieder. »Offenbar gibt es hier einen unabhängigen Stromkreis«, stellte sie sachlich fest.
»Ja«, bestätigte Judith mit einem ungläubigen Kopfschütteln. »Und zwar einen, der funktioniert … Nach sechzig Jahren!«
»Tja.« Maria zuckte in einer unangemessenen, fast gleichgültig wirkenden Geste die Schultern. »Da lob ich mir deutsche Wertarbeit.«
»Das ist völliger Quatsch«, fiel ich etwas ruppiger als nötig ein. »Geräte, die mehr als ein halbes Jahrhundert lang nicht gewartet worden sind, können nicht funktionieren – Qualität hin oder her. Das ist ein Ding der Unmöglichkeit!«
»Anscheinend nicht.« Ich sah Judith an, dass sie von ihren eigenen Worten wenig überzeugt war, weil sie mir insgeheim Recht geben musste.
Meine Feststellung war weit mehr gewesen als der bloße Hinweis auf technisch Unmögliches, sondern die unausgesprochene Schlussfolgerung, dass sich bis vor nicht allzu langer Zeit noch jemand hier unten herumgetrieben haben musste. Diesen Gedanken weiterzuverfolgen und zu dem Schluss zu kommen, dass die im Plan verzeichneten Labore, Zellen und sonstigen Einrichtungen noch vor kurzem genutzt worden sein könnten oder dass wir vielleicht sogar nicht ganz so einsam und verlassen durch diese Kellergewölbe streiften, wie wir bislang angenommen hatten, traute Judith sich
Weitere Kostenlose Bücher