Nemesis 03 - Alptraumzeit
Lidern.
Nicht schon wieder! Ich zwang mich, die Augen zu öffnen, und beobachtete schwer atmend und durch einen Schleier der Benommenheit hindurch Ellen dabei, wie sie mit einem Gesichtsausdruck, als litte auch sie mittlerweile unter Kopfschmerzen, die Taschenlampe an sich nahm und in den Raum hinter dem Durchbruch hineinleuchtete, den ich mit buchstäblich letzter Kraft geschaffen hatte.
Ich konnte – ich durfte! – jetzt nicht wieder das Bewusstsein verlieren! Abgesehen von der Tatsache, dass mir eine größere Peinlichkeit gar nicht hätte unterlaufen können (außer, einer der Damen über die Füße zu reihern, versteht sich), stand für mich nach wie vor fest, dass Stefans Mörder sich unter uns befinden musste. Ich war nicht sicher, ob ich jemals wieder erwachen würde, wenn ich hier im Keller zusammenbrach. Die anderen würden mich hier liegen lassen, davon war ich überzeugt. Und der Mörder würde zurückkehren und mir die Pulsschlagadern durchtrennen, während ich schlief. Ich musste wach bleiben, egal wie.
Ich ließ die Spitzhacke fallen, lehnte mich schwer atmend an die gegenüberliegende Wand, biss mir in die geballte Faust und konzentrierte mich auf den stechenden Schmerz, der durch meine Hand schoss, während ich gedanklich im Rhythmus meines Atems zu zählen begann. Nach den positiven Erfahrungen, die ich in der Empfangshalle mit Rechenaufgaben gemacht hatte, hätte ich mir gerne eine solche gestellt. Aber der unerträgliche Schmerz hatte von meinem Gehirn nichts als Brei übrig gelassen, daher vermochte es sich nicht einmal mehr eine solche auszudenken, geschweige denn zu lösen. Das bloße Zählen und der neue kontrollierte Schmerz, den ich mir selbst zufügt hatte, taten jedoch ihre Wirkung: Es gelang mir, mich zumindest von dem Schwindel abzulenken, und er zog sich schmollend und langsamer, als mir lieb gewesen wäre, zurück. Die Kopfschmerzen und das Wummern in meinem Bauch jedoch blieben.
Judith schenkte mir einen Blick, der irgendwo zwischen Unsicherheit, Herablassung und Mitleid schwankte, mir insgesamt aber deutlich mehr behagte als die blanke Panik, mit der sie mich vorhin im ersten Kellerraum betrachtet hatte. Sie bückte sich nach der Spitzhacke und begann mit entschlossenen, kräftigen Hieben das Loch zu erweitern, das ich in die Wand geschlagen hatte. Wären die Schmerzen in meinem Kopf nicht so unerträglich gewesen und hätte ich mich nicht zu schwach dazu gefühlt, hätte ich in diesem Augenblick wahrscheinlich einen anerkennenden Pfiff verlauten lassen. So aber nahm ich nur staunend zur Kenntnis, mit wie viel Temperament die mopsige junge Frau auf das alte Mauerwerk eindrosch. Ich dachte daran zurück, wie ich am Abend in meinem Zimmer oben gelegen hatte und nahm mir fest vor, ihr beim nächsten Mal etwas mehr Initiative zu überlassen – wenn es denn ein nächstes Mal gab, was zumindest ein klärendes Gespräch unter vier Augen und eine ganze Menge Feingefühl meinerseits voraussetzte.
Judith ohne allzu große Anstrengung mit so viel Power arbeiten zu sehen hatte jedoch etwas gewissermaßen Erotisches, was mir selbst in meiner miserablen körperlichen Verfassung nicht entging.
Wieder rieselte Putz von der Decke und dieses Mal blieb es nicht bei einem vereinzelten kleinen Brocken: Mindestens anderthalb Pfund Gesteinsklumpen polterten auf den Boden zu meinen Füßen herab, begleitet von einer kleinen Staubwolke, die meine Lunge reizte und mich zum Husten brachte. Der Schmerz in meinem Schädel bekam einen weiteren Schub, so dass mein Husten in ein gequältes Keuchen überging. Das seltsame Wummern in meinem Bauch wurde heftiger und erfüllte alle meine Innereien zwischen Leisten und oberen Rippen und für einen kurzen Moment hatte ich einmal mehr das Gefühl, dass der Boden unter meinen Füßen vibrierte.
Dann war der ganze Spuk vorbei. Von einem Lidschlag zum nächsten war nichts mehr da: Weder die Kopfschmerzen noch die mit ihnen einhergehende Übelkeit oder das für sich allein genommen gar nicht einmal unangenehme Gefühl wie von viel zu laut aufgedrehten Boxen. In der Sekunde, in der der Boden unter meinen Füßen wieder stillstand, war alles weg, so plötzlich und so restlos, als hätte es nichts von alledem je gegeben.
Alles, was noch daran erinnerte, war ein Gefühl von Schwäche und Erschöpfung, als hätte ich gerade den Iron Man mit Bravour gemeistert.
Judith hatte das Loch in der Wand binnen kürzester Zeit weit genug vergrößert, dass auch sie, die von uns
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