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Nemesis 06 - Morgengrauen

Nemesis 06 - Morgengrauen

Titel: Nemesis 06 - Morgengrauen Kostenlos Bücher Online Lesen
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dem festen Griff meiner Finger um den zierlichen Hals der Medizinerin. Drohend hob er den Elektroschocker. Ich rückte noch dichter mit dem Rücken zur Wand. Ich wollte der jungen Frau nichts antun, selbstverständlich nicht. Aber das durfte ich mir nicht anmerken lassen. Solange ich die Ärztin als lebenden Schutzschild nutzte, hatte dieser Mistkerl so gut wie keine Chance, an mich heranzukommen.
    Die beiden bewaffneten Pfleger tauschten einen Blick, den ich nicht deuten konnte. Das übrige Personal wich beiseite.
    »Noch können wir reden«, begann ich, als etwas Überraschendes geschah. Aus den Elektroschockern sprangen lange Drahtspulen hervor, und ich zuckte unwillkürlich zusammen. Ich hatte diese Dinger wirklich schon einmal gesehen. Bislang war ich davon ausgegangen, dass solcherlei feige und verachtenswerte Waffen nur in den USA genutzt wurden. Die Drähte trafen die Ärztin an der Brust, und die junge Frau bäumte sich in meinem Griff auf. Nahezu in derselben Sekunde fühlte auch ich mich wie vom Blitz getroffen. Glühender Schmerz zuckte durch meinen Körper, schien jeden einzelnen meiner Muskeln gründlich anzusengen, ehe diese sich schmerzhaft verkrampften und ich mit zuckenden Gliedmaßen und schreckensweit aufgerissenen Augen zu Boden sank. Dann gesellte sich ein dumpfer, durch alle meine Gliedmaßen im Takt meines Herzschlages pulsierender Schmerz zu dem Krampf, der es mir zusätzlich erschwert hätte, mich zu bewegen, wäre ich nicht schon zu unkontrollierten Zuckungen verbannt gewesen. Es roch nach Ozon.
    Hilflos am Boden liegend, begriff ich, was geschehen war. Dumm, wenn man nicht denken konnte, wirklich zu dämlich! Es war überhaupt nicht notwendig gewesen, mich zu treffen, solange ich diese Doktor Schirmer im Arm gehalten hatte. So hatte ich sichergestellt, dass der Stromschlag auch mich traf, selbst dann, wenn die Pfleger die Spulen auf sie abschössen. Abgesehen davon, dass ich Abitur hatte, hatte ich als Jugendlicher einmal betrunken gegen einen Elektrozaun gepinkelt. Eigentlich hätte ich weitaus mehr über elektrische Leitfähigkeit wissen müssen.
    Noch während ich dies dachte, bäumte sich das Tier in meinem Schädel wieder auf. Etwas griff mit krallenbewehrten Klauen nach den Synapsen meiner Hirnzellen.
    Der Schmerz ließ mich aufstöhnen. Welchen Impuls mochte der heftige Stromstoß in der Geschwulst unter meinen Schädelplatten ausgelöst haben, fragte ich mich entsetzt. Stimulierte er es? Oder quälte er es so sehr wie mich, so dass es seine Tentakel noch tiefer, noch entschiedener in mein Hirn bohrte? Tränen des Schmerzes rannen über meine Wangen – Tränen, für die ich mich schämte, die ich aber ebenso wenig zu kontrollieren in der Lage war wie sämtliche andere Körperfunktionen. Krankenschwestern beugten sich zu mir herab. Die Ärztin wurde aufgehoben. Von irgendwoher hatte man Tragen auf Rollgestellen herbeigebracht.
    Der Hüne, der mich in der Kammer aufgespürt hatte, hob mich in einer fast spielerischen Bewegung vom Boden auf und grinste dabei hämisch. »Hier kommt keiner raus«, murmelte er selbstzufrieden. »Es sei denn, in einer schwarzen Kiste. Aber wie du ja schon gesehen hast, stellen wir die ganz besonderen Patienten lieber post mortem aus. Zumindest teilweise.«
    Ich dachte an die grässlichen Präparate in den Forschungssammlungen zurück, und nun zog sich zu allem Überfluss auch noch mein Magen schmerzhaft zusammen.
    Die Gehirne in den großen Gläsern, die ungeborenen Kinder, die verstümmelten Körper und entstellten Gesichter ... Mit dem Tumor in meinem Hirn würde ich wahrscheinlich einen Ehrenplatz in dem Panoptikum medizinischer Kuriositäten erhalten, vielleicht als Ganzkörperpräparat neben dem schwangeren, viel zu jungen Mädchen enden. Ich wollte so nicht mein Leben beschließen! Ich wollte eine verfluchte Kiste auf einem Friedhof, meinetwegen auch eine Urne oder gar eine Seebestattung. Ich war kein religiöser Mensch, aber trotzdem hatte ich ein Recht auf ein menschenwürdiges Begräbnis!
    Ich wollte leben!
    Breite lederne Bänder wurden um meine Arme und Beine geschlungen. Noch immer war ich absolut unfähig, auch nur den kleinen Finger zu rühren, obwohl alle meine Sinne mittlerweile wieder arbeiteten, und das mit fast übernatürlicher Präzision. Sogar meine Nackenmuskeln waren im Krampf wie erstarrt, so dass ich nicht einmal den Kopf drehen konnte. Ich sah lediglich die Neonlichter an der Decke über mir vorübergleiten, als man die Bahre

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