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Nemesis 06 - Morgengrauen

Nemesis 06 - Morgengrauen

Titel: Nemesis 06 - Morgengrauen Kostenlos Bücher Online Lesen
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sein! Das hier war ein hochmodernes Krankenhaus! Ich war in einem Operationssaal gewesen! Nie und nimmer war das hier Crailsfelden! Und übrigens: Vielen Dank für die Rücksicht auf die Psyche Ihrer Opfer, lieber Doktor Sänger. Sie hätten mir fast das Gefühl vermittelt, unbeobachtet und völlig unbefangen zu krepieren. Das war wirklich gütig von Ihnen.
    Der mittlere Fernsehmonitor an der gegenüberliegenden Wand flammte auf. Man sah das Zimmer aus einer etwas verzerrten Perspektive von schräg oben, was Sängers Behauptung über den Belüftungsschacht bestätigte. Die Tür ging auf. Ein junger Arzt mit zerzaustem blonden Haar und auffälligen Koteletten, der eher wie ein Zivi aussah als wie ein ausgebildeter Mediziner, stürmte in den Raum, dicht gefolgt von einer jungen, rothaarigen Schwester. Sie schoben den Rollwagen, auf dem der Defibrillator stand.
    Kaum dass sie mich erreicht hatte, riss die Schwester mir das OP-Hemdchen über den Kopf, und ich bemerkte, wie sich ein beschämter Rotton über meine Wangen zog, als ich mich selbst auf dem Video nackt vor dem hübschen Mädchen liegen sah. Hastig entfernte sie die Elektroden von meiner Brust, die mit kleinen Saugnäpfen an meiner Haut hafteten. Der Arzt rieb eifrig die beiden Metallplatten des Defibrillators gegeneinander, und nachdem sie die Elektroden von meiner Brust entfernt hatte, löste die Schwester auch die kleinen Messchips unter den Pflastern.
    »Fertig?«, fragte der Arzt ungeduldig.
    »Einen Augenblick noch.« Ich bemerkte, dass das Mädchen eine ausgesprochen wohlklingende Stimme hatte, selbst jetzt, da sie sichtbar in Hektik und Aufregung war.
    »Ich muss nur noch die Infusionsnadeln ...«
    »Wir verlieren ihn!«, drängte der Arzt und schüttelte hektisch den Kopf. »Vergessen Sie die Elektroden und die Nadeln. Treten Sie zurück, Carla. Wie viel wiegt der Kerl?«
    »Dreiundsechzig Kilogramm«, antwortete das Mädchen und trat gehorsam beiseite.
    »Dann geben Sie mir hundertneunzig Joule.« Der Arzt rieb noch einmal die Flächen der beiden Metallplatten gegeneinander, während sich die Schwester über den Gerätewagen beugte und einen Regler hochdrehte.
    Der Arzt drückte mir die Metallplatten auf die Brust. In den Handgriffen schienen Auslöser zu sein. Jedenfalls bäumte sich mein Körper im Bett auf dem Monitor auf, als hätte die Faust eines Riesen von unten gegen die Matratze geschlagen. Ich zuckte unwillkürlich zusammen, als ich diese Bilder sah, und für einen winzigen Moment drängte sich der Traum in mein Bewusstsein zurück, aus dem der Defibrillator mich brutal herausgerissen hatte. Der Junge in der Pfadfinderuniform, das Kind, das mir den Weg in das Licht verwehrte ...
    »Noch einmal!«, drängte der Arzt. Ein schrilles, fiependes Geräusch erklang, während sich das brutale Gerät in den Händen des Mannes erneut auflud. Die Schwester ließ durchsichtiges Gel aus einer Tube auf die Metallflächen tropfen, und das Fiepen verstummte.
    »Geben Sie mir diesmal zweihundertzwanzig Joule, Carla.« Der Blonde rieb die Elektrodenflächen kurz gegeneinander, um das Gel besser zu verteilen. Dann setzte er sie erneut auf meine Brust.
    Ich verkrampfte mich. Die Szene wiederholte sich, und verspannt bis in die Ohrläppchen beobachtete ich, wie sich mein lebloser Körper auf dem Monitor aufbäumte, gefasst darauf, den grausamen Schmerz des Zurückgeholtwerdens im nächsten Moment in der Wirklichkeit noch einmal qualvoll nachvollziehen zu müssen. Schließlich legte der Arzt die Elektrodenplatten beiseite und lauschte mit seinem Stethoskop auf meine Herztöne. Einige Atemzüge später nickte er zufrieden.
    »Wir haben ihn wieder«, seufzte er.
    Ich sah mich auf dem Bildschirm die Augenlider heben.
    Etwas an diesem Anblick verstörte mich. Er wirkte fremd auf mich. Natürlich. Ich hatte die Augen nicht geöffnet in diesem Augenblick, das konnte gar nicht sein. Ich hatte diesen Arzt und diese Schwester niemals lebendig zu Gesicht bekommen!
    »Herr Gorresberg? Können Sie mich hören?« Der junge Arzt lächelte. »Sie haben uns ganz schön erschreckt.«
    Ich wandte den Kopf und sah dem Arzt direkt ins Gesicht. Die Bewegung wirkte seltsam abgehackt, fast wie von einem Pantomimen, der einen Roboter spielt. Überhaupt wirkte ich nicht wie ich, fand ich. Irgendetwas war anders. Nicht nur die Bewegung, sondern auch mein Blick, meine Mimik, meine Ausstrahlung ...
    »Du hast mir wehgetan.«
    Ich traute meinen Ohren kaum. Auf dem Video bewegte ich meine

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