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Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)

Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)

Titel: Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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versanken alle wieder in Schweigen.
    »Leute, so geht das nicht«, sagte der Guru nach einer Pause.
    »Eben«, sagte Janne. »Wir verschwenden unsere Zeit. Sie müssen schon irgendwann mal Ihre Arbeit machen, sonst hat das alles gar keinen Sinn.«
    Der Guru schloss die Augen. Dann öffnete er sie wieder und atmete langsam aus wie ein Junge, der aus Versehen auf den Zehnerturm geklettert ist. »Es führt kein Weg dran vorbei«, sagte der Guru. »Wir müssen verreisen. Und zwar alle zusammen.«

          »Was ist das?« fragte Claudia, als ich den Zettel auf den Tisch legte.
    »Du musst unterschreiben«, sagte ich. »Und zwar genau hier.« Ich zeigte es mit dem Finger.
    Sie rückte die Brille auf der Nase zurecht und beugte sich über das Blatt. »Du verreist mit deiner Selbsthilfegruppe?«
    Dieser Satz war wie ein Schlag in die Magengrube. Die totale Selbstvernichtung. Ja, ich verreise mit meiner Selbsthilfegruppe.
    »Du?« fragte Claudia ungläubig. » Du verreist mit deiner Selbsthilfegruppe? Wieso erfahre ich erst jetzt was davon?«
    »Steht doch alles da«, sagte ich. »Es ist eine gemeinsame, spontane Entscheidung. Du hast selbst gesagt, ich soll mehr unter Leute kommen.«
    »Das habe ich gesagt?« Claudia las das Blatt schon zum fünften Mal durch. »Ich unterschreibe das nicht, bevor ich nicht mit ihm gesprochen habe.«
    »Bitte nicht. Ich bin schon gedemütigt genug.«
    Claudia schüttelte den Kopf. Dann setzte sie schwungvoll ihre Unterschrift auf den Streifen, den eine gepunktete Linie mit einem kleinen Scheren-Symbol vom Infobrief trennte.
    »Aber über tausend Euro für eine Woche«, sagte sie, »das ist ganz schön viel, mein Lieber. Die Schullandheime haben ein Fünftel gekostet. Wie findest du den Typen eigentlich?«
    Ich überhörte ihre Frage. »Die Unterkunft ist eben behindertengerecht«, sagte ich.

    Wir aßen wieder zu dritt zu Abend. Dirk hatte es aufgegeben, mit mir ins Gespräch zu kommen. Er drehte seine Spaghetti auf die Gabel und unterhielt sich mit Claudia über Sporttauchen. So war er mir viel lieber. Ich drehte meine Spaghetti auf die Gabel und las in einem Reiseführer über Mecklenburg-Vorpommern.
    Bis Claudia ihn mir wegnahm, zusammenklappte und auf den Stuhl neben sich warf.
    »Jetzt reiß dich doch mal zusammen«, sagte sie.
    »Ich verreise nämlich für eine Woche mit meiner Selbsthilfegruppe«, sagte ich vertraulich zu Dirk. Er hatte ein unglaublich rosafarbenes Hemd an. Ich hatte davon gehört, dass auch Männer inzwischen Rosa trugen, aber an Dirk störte mich das massiv.
    »Wirklich?« fragte er höflich. »Wo soll es hingehen?«
    »Nach Marenitz«, sagte ich.
    »Wo ist das noch mal?«
    Das wusste ich selbst nicht so genau. Der Guru hatte von einer Villa mit drei Stockwerken gesprochen. Ein Zimmer für ihn, eins für Janne, drei Doppelzimmer für »euch Jungs«, Küche und ein Gemeinschaftsraum mit einem Holzofen. Ich wusste, dass es schrecklich werden, und ich wusste, dass ich auf jeden Fall mitfahren würde.
    »Passen Sie hier in meiner Abwesenheit auf Claudia auf und füttern meine Fische?«
    »Unbedingt.«
    »Dann bin ich beruhigt«, log ich.

    Ich lag auf dem Bett und schaute dem Wels im Aquarium zu, als Claudia an meine Tür klopfte.
    »Telefon für dich«, sagte sie und stand schon drin, noch bevor ich »Herein« rufen konnte. Sie hielt mir den Hörer entgegen. »Du bist ganz schön gefragt in der letzten Zeit. Ist ja fast wie früher.«
    Ich nahm das warme Telefon aus ihren Händen. Eine unruhige, zarte Frauenstimme vibrierte in meinem Gehörgang. Ich rieb das Ohr, weil es plötzlich so kitzelte. Genau so viel Zeit brauchte ich, um die Stimme von Jannes Mutter zu erkennen.
    »Ich wollte einfach gern wissen, ob Sie bei dieser Reise auch dabei sind, Marek«, sagte sie. »Mir ist unwohl, diesem Vorhaben zuzustimmen, wenn ich praktisch so gar niemanden kenne. Bis auf …« Und sie verstummte wieder.
    Vor Überraschung konnte ich nur husten. Und dann sagte ich zu allem Ja. Ja, ich passe gern auf Janne auf. Ja, ich weiche ihr nicht von der Seite. Ja, ich habe mitgekriegt, dass sie nur eingeschränkt mobil ist. Ja, ich bin gern bereit, noch mal vorbeizukommen, damit sie mir all das persönlich sagen und mir noch einmal die Hand schütteln kann.
    Sie legte auf, und ich fühlte mich wie eine Mehlmotte auf einem Klebeband.

          Sie stand wieder in der Tür und wartete auf mich. Sie war sehr schlank, das fiel mir erst jetzt auf. In schmal geschnittener dunkelblauer

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