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Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)

Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)

Titel: Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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Bücherregale, ein großer Tisch mit einem gigantischen Monitor. Ich sah mich um auf der Suche nach Webcams. Zwei entdeckte ich sofort. Ein weißer Holzschrank, dessen Tür offen stand und die Sicht auf ziemlich viele lange Kleider freigab. Auf der ebenfalls weißen Kommode lag eine Bürste. Mädchen ohne Beine richteten sich offenbar nicht viel anders ein als Mädchen mit Beinen. Janne schloss die Tür und drehte sich zu mir.
    »Wann ist das mit deinem Gesicht noch mal genau passiert?« fragte sie.
    Ich hatte mit allem Möglichen gerechnet, nur nicht damit.
    »Was soll die Frage? Hast du nicht zugehört? Keine Zeitungen gelesen?«
    »Stimmt es, dass du vorher total süß ausgesehen hast und der Star eurer Theatergruppe warst?«
    Ich zuckte mit den Schultern. Es war klar, dass sie sowieso alles wusste. Warum sie sich jetzt solche Mühe gab, mich auf die Palme zu bringen, verstand ich allerdings nicht.
    »Was willst du von mir?« fragte ich. Wenn sie hier gleich zum Wesentlichen kam, sah ich nicht ein, warum ich es nicht auch tun sollte. »Warum lädst du mich ein, hältst mit mir Händchen und stellst bescheuerte Fragen?«
    Sie lehnte sich zurück und wurde rot. Knallrot. Das passte nicht zu ihr, so abgebrüht und entschlossen und arrogant und unfreundlich, wie sie sonst wirkte. Wenn sie errötete, sah sie aus wie ein kleines Mädchen. Ein nettes kleines Mädchen.
    Ich bereute sofort alles, was ich gesagt hatte.
    Ich setzte mich auf ihr Bett, auf die geblümte Patchwork-Tagesdecke, und kniff die Augen zusammen, um besser lesen zu können, was auf den Buchrücken in Jannes Regal stand.
    »Man gewöhnt sich an dich«, sagte Janne von der Seite.
    Ich hob den Hintern an und zog den Kugelschreiber hervor, auf den ich mich gesetzt und der mich gepiekst hatte.
    »Und jetzt erzähl von dir«, sagte ich. »Seit wann kannst du nicht mehr laufen, und wo sind deine Beine.«
    »Na hier«, sagte sie überrascht.
    Ich drehte mich wieder zu ihr. Sie saß sehr aufrecht, wie eine Ballerina, und ihre Wangen waren immer noch leicht gerötet. Plötzlich dachte ich, dass nicht viele Jungs vor mir in diesem Zimmer, auf dieser Seite der Webcam, gewesen sein konnten. Höchstens noch der Blinde. Ich schloss die Augen, um mir vorzustellen, wie er Jannes Zuhause wahrnehmen musste. Er hatte wahrscheinlich eine richtige Spürnase, ich roch jedenfalls so ziemlich nichts außer einen Hauch Limette. Also öffnete ich die Augen wieder.
    »Wo ist hier ?« fragte ich.
    Sie zog den Saum ihres Kleides, das ihr mal wieder bis zu den Schuhspitzen ging, wie einen Vorhang in die Höhe.
    Ich hatte es mir völlig anders vorgestellt. Dass sie irgendwelche Prothesen hatte wie Richard. Oder einfach gar nichts, die Schuhe als Attrappe. Jedenfalls hatte ich nicht mit Mädchenbeinen gerechnet, die sehr weiß waren und in noch weißeren Söckchen steckten. Janne zog das Kleid noch etwas höher, jetzt sah ich auch ihre Knie.
    »Sehen ja völlig normal aus«, sagte ich. »Vielleicht ein bisschen schmal, aber sonst …«
    Sie lachte so, dass es mir einen Schauer über den Rücken jagte.
    »Kannst ja mal anfassen«, sagte sie.
    Das musste sie mir nicht zweimal sagen. Ich rutschte vom Bett auf die Knie. Janne biss sich auf die Unterlippe. Dann achtete ich nicht mehr auf ihr Gesicht.
    Ich legte meine Hand auf ihren Unterschenkel. Er war kühl und irgendwie weich, wie bei einer Stoffpuppe. Ich fuhr mit der Hand hoch und runter. Die Haut war sehr glatt, aber darunter schienen keine Muskeln zu sein. Und zugleich war alles sehr schön. Nur eben nicht so richtig lebendig. Ich fragte sie nicht, ob sie sich trotz der langen Kleider immer die Beine rasierte oder ob ihre Haut gar keine Kraft für den Haarwuchs hatte. So etwas war im Pschyrembel nicht vorgekommen, aber ich hatte ihn ja auch noch nicht ganz durch. Ich rückte näher, legte meinen Kopf auf Jannes Schoß, auf den zusammengerafften Stoff des Kleides. Sah wieder zu ihr hoch. Sie hatte ihren Kopf merkwürdig zurückgeworfen.
    »Ich spüre nichts«, sagte sie, und ihre Stimme klang anders als sonst.
    Ich stand wieder auf. Jetzt konnte ich auf sie herunterschauen. Sie hatte einen unglaublichen Mund, sinnlich und geschwungen. Sie will geküsst werden, dachte ich. Nichts will sie so sehr wie das. Ich hatte ja vorher ein richtiges Leben gehabt, aber sie? Ich wollte von ihr nicht beneidet werden für Dinge, die ich längst verloren hatte.
    Ich beugte mich zur ihr herunter, aber sie schreckte zurück.
    Die Tür ging auf. Ich

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