Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)
Hose und weißer Bluse mit rundem Kragen wäre sie, zumindest von hinten, als Mädchen durchgegangen, ein Mädchen aus früherer Zeit, ob aus den dreißiger Jahren oder den Fünfzigern – da kannte ich mich nicht aus.
Ich bildete mir ein, dass ihr Lächeln etwas weniger verkrampft war als beim ersten Mal. Das war normal. Die Menschen gewöhnten sich an mich.
»Marek.« Sie hielt wieder zur Begrüßung meine Hand in ihren eiskalten Fingern. »Sie werden schon erwartet.«
Und ich dachte, warum bloß habe ich Idiot keine Blumen mitgebracht? Wenn schon nicht der ätzenden Janne, dann wenigstens ihrer Mutter.
Ich ging durch den kühlen Flur und fragte mich, wem die mir aus der angelehnten Zimmertür entgegenschwebenden Stimmen gehören könnten. Die eine war ganz klar Jannes, aber die zweite? Ich erkannte sie natürlich sofort und tat dennoch so, als wüsste ich es nicht, denn dieses Wissen machte mir Bauchschmerzen, die sich in Übelkeit verwandelten. Ich klopfte eine Spur zu heftig an die Tür. Auf Jannes Bett saß ein lächelnder Marlon, und auch Janne lachte so, dass ich versucht war, sie für ihre fröhlichere Zwillingsschwester zu halten. Als ich neulich da gewesen war, hatte sie nicht so gelacht. Eigentlich überhaupt nicht.
Sie begrüßten mich mit sanfter Freundlichkeit, wie ein Ehepaar, das geduldig akzeptierte, mitten im spannendsten Gespräch vom Briefträger gestört zu werden. Ich lehnte mich gegen die Tür und versuchte, meinen Atem zu kontrollieren. Am liebsten wollte ich wegrennen, beleidigt, gekränkt. Aber ich wollte nicht, dass Janne über mich lachte. Die letzte Frau, die über mich gelacht hatte, hätte ich gern umgebracht. Aber der Einzige, der da außer mir gestorben war, war der Rottweiler gewesen.
Ich entdeckte in der Ecke einen weißen Rattan-Stuhl mit einem Sitzkissen, durchschritt das Zimmer und setzte mich. Mein Hintern versank tief im Polster. Janne lächelte. Ich fragte sie laut, welchem zweifellos wichtigen Grund ich die Ehre der Einladung verdanke.
»Mama wollte es so«, sagte Janne leichthin. »Sie macht sich Sorgen wegen der Fahrt.«
Ich hätte haargenau das Gleiche getan, wenn ich die Mama gewesen wäre. Nur wusste ich nicht, was deren Sorgen mit mir zu tun hatten. Ich fragte Janne in der Hoffnung, dass sie sich schämte, dass ihre Mutter mich völlig unnötig beansprucht hatte, obwohl sie, Janne, sich doch gerade intensiv einem anderen Typen widmete.
»Mama möchte einfach die anderen Leute kennenlernen, die auf diese Reise gehen«, sagte Janne ganz selbstverständlich. Beschämt sah sie dabei nicht aus. »Dann ist sie ein wenig ruhiger. Ich bin noch nie allein verreist. Also ohne Mama.«
»Und warum ausgerechnet jetzt?«
»Weil ich jetzt Lust hab.«
Dann vergaßen sie mich für eine Weile und plauderten weiter über irgendwelche Belanglosigkeiten. Es war lange her, dass ich so ignoriert worden war. Ich konnte mich gar nicht erinnern, ob es überhaupt jemals vorgekommen war. Als sie auf Hunderassen zu sprechen kamen, stand ich auf und verließ wortlos den Raum. Das hieß, ich wollte ihn eigentlich verlassen, stieß aber in der Tür mit Jannes Mama zusammen, die uns alle zum Teetrinken ins Esszimmer einlud.
So saßen wir an einem ovalen Tisch mit der auf einer Seite weit herunterhängenden gestärkten Tischdecke, ich neben Jannes Mama, Janne neben Marlon. Hinter uns ein Klavier, darauf aufgeschlagene Noten.
Die Mutter schenkte Früchtetee ein und schob die Zuckerdose und das Milchkännchen über den Tisch, als wären es Spielfiguren. Ich hatte das Gefühl, dass sie sich bemühte, ihre Aufmerksamkeit gerecht zwischen Marlon und mir aufzuteilen. Von Janne konnte man das nicht gerade behaupten. Sie setzten ganz ungestört ihr Gespräch über Hunde fort.
Ich drehte mich zu Jannes Mutter und fragte sie, was sie beruflich machte. Sie war Übersetzerin aus dem Schwedischen und Französischen. Ich berichtete, dass ich einen slawischen Namen hatte; ich hatte ganz vergessen, dass wir schon bei meinem ersten Besuch darüber gesprochen hatten. Ich sagte, dass ich außerdem eine ukrainische Stiefmutter habe, die nicht viel älter sei ich. Sie war bei uns Au-pair gewesen.
Nicht viel älter als ich, das stimmte natürlich nicht ganz. Damals war Tamara immerhin ganze achtzehn gewesen, und das war fast sieben Jahre her.
Jannes Mutter verfiel in verlegenes Schweigen. Dabei hatte ich gedacht, dass Mütter behinderter Töchter nicht so leicht zu schockieren wären. Aber vielleicht war
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