Neobooks - Das Leben in meinem Sinn
Mit kalter, leicht zittriger Hand reicht er mir lediglich die Karte. Nun erst erkenne ich sie.
Es ist eine besondere Postkarte. Eine dicke Linie teilt die Ansichtsseite in zwei Hälften, die je eine Kinderzeichnung aufweisen.
Ben sagt noch immer nichts. Er sieht mich einfach weiter an – mit diesen unglaublich blauen Augen –, während er die Karte in meinen Händen umdreht und seinen zittrigen Zeigefinger bedeutungsvoll auf die fremde Briefmarke legt. Es verstreicht nur ein einziger weiterer Herzschlag, bis ich endlich verstehe.
»Nein!« Nicht mehr als dieses geflüsterte Wort kommt über meine plötzlich sehr trockenen Lippen.
»Und ob!«, wispert Ben und sieht mich so intensiv an wie nie zuvor.
In unseren Augen glitzern glückliche Tränen.
E tappen meiner Reise …
Wie eine Feder, getragen vom sanften Wind, gleite ich hoch über den Köpfen der Menschen dahin. Unsichtbar, unbemerkt, schwerelos.
Für die Geschichte von Sarah und Ben mag es ein gewöhnlicher, jedoch keineswegs belangloser Nachmittag gewesen sein, als Bens Vater vor genau sechsundzwanzig Jahren, zwei Monaten, fünf Tagen und viereinhalb Stunden seinen Gärtner Giuseppe Grandi in das Büro des großen gelben Hauses an der amalfitanischen Küste rief.
Er teilte dem dunkelhaarigen Mann, den seine Kinder so liebten, damals mit, er habe seine diplomatischen Beziehungen spielen lassen, und verkündete stolz, der von Giuseppe so heiß ersehnten Auswanderung in die USA stünde nun nichts mehr im Wege.
Ja, die Welt ist klein. Und sie ist mein Spielplatz.
Was Bens Vater allerdings nicht wusste, war, dass Giuseppe nur wenige Wochen später mit nur einem kleinen Koffer ausreisen würde. Darin befanden sich nur sehr wenige Kleidungsstücke.
So wenige, dass die Beamten, die weitere Wochen später die Wohnung des zurückgezogen lebenden Mannes durchsuchten, nicht einmal auf die Idee kamen, er könne verreist sein.
Giuseppes Koffer beinhaltete jedoch eine Unmenge Briefe und persönliche Gegenstände, die den verzweifelten Mann an seine Verlobte erinnerten, die ihn ein halbes Jahr zuvor Hals über Kopf verlassen hatte. Wie hatte sie nur denken können, dass er ohne sie besser dran sei. Selbst ohne die Aussicht auf eigene Kinder hätte er sein Leben glücklich an ihrer Seite verbracht.
Nur einen ihrer Briefe, den letzten, trug Giuseppe in der Innentasche seiner Jacke, direkt über seinem Herzen.
Wie groß konnte Amerika schon sein? Er würde sie wiederfinden, seine Alberta … und wenn es sein Leben lang dauern würde.
Ein Wunsch, der sich in wenigen Stunden erfüllen wird, wenn ihm die Nanny des Hauses Todd die Tür öffnet und ihn herzlich zu seinem Vorstellungsgespräch begrüßt.
Es werden Sekunden verstreichen, bis sie sich wiedererkennen – Wochen, bis sie ihrem wiedergefundenen Glück trauen – und Jahrzehnte, die sie glücklich gemeinsam verbringen.
Fast auf den Tag genau vor drei Jahren, in einer heißen Juninacht am östlichen Ende der Stadt, steckte Randolph Stiller in einem kreativen Loch. Die Rolle des Ron war problembeladen und die Story schon wieder so düster, wie er sie eigentlich nicht hatte gestalten wollen. Irgendetwas Frisches und Fröhliches musste der Geschichte hinzugefügt werden, etwas Entscheidendes fehlte ihr noch, das spürte der junge Drehbuchautor genau. Er brauchte eine Art Gegenstück für den armen Ron. Jemanden, der die Kraft besaß, ihn aus seinem Trott zu reißen.
Randy sah sich hilfesuchend in seinem Wohnzimmer um; er brauchte dringend eine Inspiration. Sein Blick blieb an seiner DVD hängen, die er sich, wie es der Zufall wollte, erst an diesem Tag gekauft hatte. Es war ein toller Film, in dem Sarah Pace die Hauptrolle spielte. In genau diesem Moment machte es bei Randy ›klick‹. Ja, Ron brauchte jemanden wie sie. Sarah war impulsiv, offenherzig und eine der sympathischsten Personen Hollywoods, fand Randy.
Sie schien nahezu furchtlos und unbeirrbar zu sein. Plötzlich entstand vor seinem geistigen Auge die komplette Geschichte neu. Ron kam nicht auf die Welt zurück, um in jeder Folge der Serie einen neuen Menschen zu beschützen. Nein, er kam nur ihretwegen zurück. Für Lea, seine Jugendliebe. Und so wurde eine Liebesgeschichte der besonderen Art aus Randys Idee. Außergewöhnlich, positiv und märchenhaft. So, wie es sein sollte.
Nach wie vor sah er seinen schüchternen, bisweilen sogar verklemmt wirkenden Freund Ben in der Rolle von Ron.
Und mit Sarahs Bild vor Augen gestaltete Randy Leas
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