Neobooks - Das Leben in meinem Sinn
meinen Arm lief, herabtropfte und eine große Pfütze auf der Straße bildete …
»Dann rasten wir über eine rote Ampel und wurden von einem Lkw gerammt, weil ich nicht auf die Straße sah, sondern damit beschäftigt war, Shirley anzuschreien. Sie solle nicht so egoistisch sein, warf ich ihr an den Kopf.
Sie!
Die Frau, die ihr Leben hinter sich gelassen hatte, nur um bei mir zu sein.«
Eine altbekannte und doch so lange verdrängte Wut kocht in mir auf und lässt mich meine zur Faust geballte Hand mit voller Wucht gegen das Lenkrad schmettern.
»Ben!«, ruft Sarah erschrocken. Sie nimmt meine Hand zwischen ihre Finger und knetet sie behutsam durch. »Es war ein Unfall«, flüstert sie dabei mit tränenerstickter Stimme. »Unfälle geschehen.«
»Nein, Sarah!«, halte ich in aller Entschlossenheit dagegen. »Das war kein Unfall! Das war … der dümmste Fehler meines Lebens. An diesem Tag verlor ich
alles
.« Sie schmiegt meine Hand an ihre Wange und küsst meine Fingerknöchel. »Shirley wurde aus dem Wagen geschleudert. Sie … verlor das Baby. Sie selbst … lag noch einen Tag lang im Koma, bis der Hirntod festgestellt und die Maschinen abgeschaltet wurden.«
»Und du?«, flüstert Sarah.
Ich schüttle den Kopf. »Nicht einen Kratzer. Ein leichtes Schleudertrauma, das war alles. Shirley hatte sich nicht angeschnallt. Sie sagte, sie könne den Gurt über dem Bauch nicht vertragen. Ich wusste, dass …«
»Ben …«, sagt Sarah wieder, doch ich winke ab, bevor sie sich wiederholen kann.
»Du wolltest es wissen, ich habe es dir erzählt. Aber bitte, versuche nicht, mir einzureden, mich träfe keine Schuld. Ich bin so schuldig an ihrem Tod, wie ein Mensch nur schuldig sein kann. Ohne mich würde Shirley noch leben. Wären wir uns nicht begegnet, wäre sie inzwischen vermutlich verlobt oder vielleicht sogar verheiratet. Bestimmt hätte sie Kinder. Nur durch mich …« Ich lasse den Satz unvollendet.
Sarahs Hand zittert. Wahrscheinlich bereut sie bereits, das Thema überhaupt angeschnitten zu haben. Ich spüre ihre Finger auf meinen Wangen; sie streichelt mich. Wie von selbst schließen sich meine Augen unter ihrer Berührung. Als ich ihren Atem auf meinen Lippen spüre, reiße ich die Lider wieder auf – gerade als Sarah ihre schließen will. Ihre Lippen sind leicht geschürzt, die Absicht klar erkennbar.
In letzter Sekunde wende ich den Kopf ab, sodass sie lediglich meine Wange küsst. »Was tust du?«, frage ich verwirrt.
Sarah blinzelt und senkt beschämt den Kopf; ihre Nasenspitze streift meine Wange. »Weißt du das denn nicht?«, fragt sie leise.
»Doch!«
Nun blickt sie zu mir auf. Unsicher, verletzt, beschämt. »Ich dachte …«
Ich lege einen Finger über ihre Lippen und bringe sie zum Schweigen. Dann nehme ich ihre zierlichen Hände und umschließe sie mit meinen Fingern. Sehe ihr so tief in die Augen, dass sie den Blick wieder senkt. »Sieh mich an!«, fordere ich, doch sie schüttelt den Kopf.
»Wenn du mich so ansiehst … so eindringlich … scheinst du bis in mein Inneres zu sehen«, flüstert sie. »Und ich bin mir nicht sicher, dass ich dich sehen lassen will, was dort gerade geschieht!«
»Okay«, sage ich, als ich ihr Geständnis entschlüsselt habe. »Dann hör nur gut zu, ja?« Sie nickt. Ich atme tief durch und beuge mich dicht zu ihrem Ohr herab. Fahre mit der Nasenspitze über ihre Schläfe, während ich spreche. »Du denkst richtig, Sarah. Da ist etwas zwischen uns. Seit Shirleys Tod ist es das erste Mal, dass ich wieder etwas für jemanden empfinde.
So
empfinde, meine ich. Für dich. Aber du hast eine wunderbare Tochter und einen Mann an deiner Seite, der dich sehr liebt. So sehr, dass er dich heiraten will. Und ich … werde diesen einen Fehler sicher nicht noch einmal machen, Sarah. Ich werde dich
nicht
aus deinem Leben reißen, um es anschließend zu zerstören, hörst du?«
Nun sieht sie mich an; Tränen schimmern in ihren Augen, lassen das sanfte Grün zerfließen. Mit einem Mal fällt sie mir um den Hals und schluchzt. Ich schließe meine Arme um ihren zierlichen Körper und halte sie. Eine kleine, unmessbare Ewigkeit verstreicht, bis wir uns voneinander lösen und uns noch einmal ansehen. Ich wische die Tränen von ihren Wangen, versuche mich an einem vorsichtigen Lächeln, das sie wie ein Spiegel erwidert, und nicke ihr zu. Gemeinsam verlassen wir mein Auto. Mit in die Hosentaschen gepferchten Händen folge ich Sarah zum Hauseingang. Jack steht hechelnd parat, als
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