Neobooks - Das Leben in meinem Sinn
hinter der angrenzenden Wand in meinem Gästebett schläft. Ich denke so intensiv an Sarah, dass sich das Bild ihres schlafenden Gesichtes vor meinem geistigen Auge aufbaut. So, wie ich sie gefunden habe.
Gedankenverloren kraule ich das Fell meines Hundes und stelle fast schuldbewusst fest, wie schön ich das Gefühl finde, Sarah und ihre Familie bei mir zu wissen.
Ich fülle noch einmal frisches Wasser in Jacks Trinknapf, dann gehe auch ich ins Bad, stelle mich unter die Dusche, putze meine Zähne und schlüpfe in einen frischen Pyjama.
Zurück in meinem Wohnzimmer, bleibe ich nur kurz stehen, bevor ich – wie ferngesteuert – weiterlaufe. Als mein Bewusstsein zu mir aufschließt und ich mich auf halbem Wege zu Sarahs Zimmer ertappe, drehe ich wieder um.
Du wirst noch zum Stalker!
Mit dem laufenden Fernseher im Hintergrund und einem meiner Lieblingsbücher in der Hand versuche ich, das Verlangen, sie doch noch einmal aufzusuchen und für wenige Minuten beim Schlafen zu betrachten, zu bezwingen. Nicht besonders erfolgreich.
Nach einer Weile verschwimmen die Buchstaben immer wieder vor meinen Augen und werden zu Sarahs ruhendem Gesicht.
Irgendwann jedoch setzt die bleierne Müdigkeit ein. Dankbar heiße ich sie willkommen, obwohl ich mir schon oft vorgenommen habe, ihr auf der Couch nicht mehr nachzugeben. Denn so gemütlich die auch sein mag, am Morgen danach erwache ich grundsätzlich mit einem steifen Nacken. Andererseits liegt mein Schlafraum am entgegengesetzten Ende zu Sarahs Zimmer – und die Idee, mich von ihr zu entfernen, behagt mir nicht besonders.
Also begehe ich den alten Fehler und ergebe mich dem tiefen, unverkennbaren Sog. Ich schließe die Augen.
Nur für eine Sekunde …
***
»Ben?«
Ich schlage die Augen auf … und blicke direkt auf ihren Mund.
»Danke«, flüstert sie. Sarahs Gesicht ist nur wenige Zentimeter von meinem entfernt, sie kniet direkt vor der Couch.
»Hm?«, erwidere ich schlaftrunken.
»Danke! … Für einfach alles, was du für mich tust«, sagt sie leise.
Als sich meine Sicht schärft, bemerke ich zufrieden, wie erholt sie aussieht. Der Schlaf hat ihr gut getan. Ihre Augen sind abgeschwollen, ihr Lächeln wirkt natürlich und nicht mehr so aufgesetzt wie zuvor. Die Uhr auf dem Klavier hinter ihr zeigt kurz vor Mitternacht.
»Sehr gerne«, erwidere ich. Meine Stimme klingt tiefer als sonst und ist vom Schlaf noch ein wenig rauh. Ich kann meinen Blick nicht von ihrem Mund lösen.
Oh, diese Lippen!
Sarah mustert mich eingehend. Sie sieht vermutlich genau, wie krampfhaft ich versuche, ihr in die Augen zu schauen … und dabei jedes Mal scheitere. Wieder und wieder fixiere ich ihren Mund. Ich weiß, dass sie es bemerkt. Als Sarah unter meinem Blick ihre Unterlippe befeuchtet und sie leicht zwischen ihren Zähnen einklemmt. Unwillkürlich geht mein Atem flacher und beschleunigt sich leicht.
Ich kämpfe mit mir, das muss sie doch spüren. Und plötzlich kommt in mir die leise Ahnung auf, dass sich Sarah vielleicht wünscht, ich möge diesen Kampf verlieren.
Sie lässt ihren Blick langsam von meinen Augen zu meiner Nase herabgleiten – und weiter, bis zu meinem Mund.
Sie sieht mich so tief, so herausfordernd, so … ja,
eindeutig
an, dass ich schlucke. Meine Kehle ist schrecklich trocken, denn mit einem Mal beherrscht Hitze den Raum und die Gerüche intensivieren sich. Rosen und Vanille fluten mein Bewusstsein – welch verführerische Mischung.
Ich kann nicht sagen, wessen Atmung zuerst aussetzt, doch für einige Sekunden verzichten wir wohl beide auf Luft, als Sarah das unsichtbare Band zwischen uns sprengt und sich, wie in Zeitlupe, auf mich zubewegt.
Ich weiß, ich sollte meine Sprache schleunigst wiederfinden; ich weiß, ich sollte sie aufhalten …
jetzt!
… Aber ich kann es nicht!
Sarah zögert kurz, nur Millimeter entfernt, bevor sich ihre Lippen über meine legen. Es ist nur eine leichte, hauchzarte Berührung, aber sie hat nichts Unschuldiges an sich. Nichts Freundschaftliches.
Ich rühre mich nicht. Empfange ihren Kuss mit einem leichten Zittern; fühle, wie meine Lider flattern … und zuklappen. Dieser Duft –
ihr
Duft
– betört mich.
Als sich unsere Lippen voneinander lösen, bin ich noch nicht bereit, sie gehen zu lassen, also recke ich mein Kinn. Sofort ist sie wieder bei mir. Bestimmter dieses Mal, sicherer. Mit einem Seufzen vergräbt sie ihre Finger in meinen Haaren und verliert sich mit mir in unserem zweiten Kuss.
Ein unbeschreibliches
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