Neobooks - Die Zitadelle der Träume
»Ich hatte gehofft, wir hätten den verdammten Schnee hinter uns. Ich will endlich aus dieser Kälte raus.«
»Mir bereiten die Horden mehr Sorgen als der Schnee«, bemerkte Gideon. »Vermutlich sind sie uns längst auf den Fersen.«
»Ganz sicher sogar«, stimmte Juna mit höhnischem Lächeln zu. »Ihr müsst euch eigentlich über gar nichts mehr den Kopf zerbrechen. Weit kommt ihr nämlich nicht.«
Ausgerechnet die sonst so ausgeglichene Marga packte Maluchs Ziehtochter am Kragen und zog sie zu sich heran. »Halt endlich dein Maul, du dämliche Ziege, sonst stopf ich’s dir.«
Kurze Zeit später waren alle reisefertig.
Die alte Hella brachte Rhonan beim Abschied in arge Verlegenheit. Er entschuldigte sich bei ihr für die bereiteten Unannehmlichkeiten und bedankte sich höflich für ihre Gastfreundschaft, und sie ließ sich auf die Knie nieder und küsste seine Hand. »Mögen die Götter Euren Weg ebnen, mein König. Die Zukunft der Reiche liegt in Euren Händen, und darüber bin ich glücklich, denn Ihr besitzt Stärke, Weisheit und Güte in gleich großem Maße. Ihr seid ein wahrer König, wie ich nun weiß, und Ihr werdet die Schatten vertreiben. Unsere Gebete sind erhört worden.« Erneut küsste sie inbrünstig seine Hand.
Rhonan hatte sich noch nicht von seinem Schrecken erholt, als Marga neben der Alten auf ein Knie sank.
»Ihr seid mein König. Mein Arm und mein Schwert gehören Euch.«
Bis auf Caitlin, die ihrem Gatten zunickte, und Juna, die den geschockten Großkönig belustigt musterte, folgten alle ihrem Beispiel.
Der Prinz sah auf die gesenkten Köpfe, schluckte erst einmal kräftig und räusperte sich unbehaglich. »Ich danke euch, und ich werde versuchen, mich eures Vertrauens als würdig zu erweisen«, brachte er schließlich mühsam hervor.
Derea musste sich auf die Lippen beißen, als er wenig später Caitlins Stimme hörte. »Das hast du schon sehr schön gesagt, Liebster. Das nächste Mal musst du nur noch darauf achten, dass du nicht gerade klingst wie ein gehetztes Wild. Die Wirkung deiner Worte wird dann ungleich größer sein.«
[home]
11. Kapitel
Morwena konnte ihn riechen: den Krieg … den Tod! Und sie konnte ihn sehen. Raben umkreisten in großen Scharen Mar’Elch.
Sie hörte einen ihrer Vorreiter schon von weitem brüllen. »Wir haben gesiegt, meine Königin. Wir haben gesiegt. Das Banner El’Marans weht über der Stadt.«
Sie schloss die Augen, und Tränen der Erleichterung und der Dankbarkeit stiegen in ihr auf. Ihre zu Tode erschöpften Männer jubelten und trieben ihre Pferde ein letztes Mal an. Drückende Angst hatte sie alle befallen, je näher sie Mar’Elch gekommen waren. Jetzt stürmten sie ihrer Heimat entgegen, unsagbar glücklich, dass sie noch eine hatten. Morwena stieß ebenfalls einen Jubelschrei aus und drückte ihrem Pferd die Hacken in die Flanken.
Kurz vor der Stadtmauer wurde der Zug wie auf ein geheimes Kommando hin wieder langsamer und stiller. Unzählige Tote waren hier Wind, Wetter und Aasfressern ausgesetzt. Süßlich fauliger Gestank lag über dem Leichenfeld. Raben und Krähen, vereinzelt auch Wölfe labten sich am überreichlichen Nahrungsangebot und ließen sich, behäbig von der Völlerei, selbst von den Reitern kaum noch beeindrucken.
Gewaltige Löcher klafften in der Mauer, der Wehrgang war an vielen Stellen eingestürzt, das Stadttor herausgebrochen. Fast wie ein schlechter Scherz wirkte die Fahne mit dem Wappen El’Marans – einer Krone, die im Feuer schwebte –, die anzeigen sollte, wer Herr dieser Stadt war.
Die Truppe bildete Spalier und ließ die Königin die Spitze übernehmen.
Morwena ritt durch das ehemalige Stadttor und weiter durch die Straßen ihrer schwer beschädigten Reichsstadt. Von den Häusern nahe der Stadtmauer waren nur Ruinen übrig geblieben. Doch viel bedrohlicher als die Skelette einstmals stolzer Häuser, bedrohlicher als der Gestank nach Fäulnis und Verwesung, der über der Stadt wehte, war die Stille, diese unheimliche, alles erdrückende Stille. Nie zuvor hatte in einer siegreichen Stadt solche Totenstille geherrscht.
Sie hatten in einem schweigenden Zug fast die Burg erreicht, als immer deutlicher Gesang hörbar wurde. Mar’Elchs Bürger sangen das Totenlied.
Unwillkürlich krampften Morwenas Hände sich um die Zügel. Sie spürte, wie sie kaum noch Luft bekam, hatte keinen Blick mehr für die beschädigte Burgmauer und sah nicht mehr ihre Krieger, die stumm aus den Sätteln
Weitere Kostenlose Bücher