Neobooks - Die Zitadelle der Träume
Ihr solltet …«
Er unterbrach ihren Wutausbruch mit müder Stimme und griff sich erneut Schnee, um ihn zu kneten: »Spart Euch Eure ewigen Drohungen! Ist Euch noch nicht aufgefallen, dass die hier niemanden so recht beeindrucken?«
Juna warf ihm noch einen giftigen Blick zu und schritt würdevoll in die Scheune.
Dala betrat Palemas Gemach und stutzte.
Ihre Schwester saß anmutig mit hochgelegten Beinen auf einer gepolsterten Bank und saugte genüsslich an einer Feige. Sie wirkte entspannt und sehr viel heiterer als in den letzten Tagen. Freundlich lächelnd sah sie ihr entgegen und erklärte. »Du kommst gerade recht für einen Becher Eistraube. Setz dich zu mir.«
»So gute Laune, meine Liebe? Hast du es endlich verkraftet, dass dein Sohn ein wenig anders ist als erhofft?« Sie ließ sich auf einer Bank gegenüber nieder, lupfte ihren Rock und rieb ihre schmerzenden Waden.
Palema lachte auf. »War, Dala, war. Und dafür müsste ich dem kleinen Camora fast ein Dankschreiben schicken. Glaubst du, er kann lesen?«
»Ich versteh nicht …«, begann ihre Schwester, wurde aber sofort unterbrochen.
»Unsere Erben treffen seit Tagen immer wieder auf Gruppen der Schwarzen Horde. Der Not gehorchend kämpft Rhonan mit Kahandar, und das Schwert gewinnt von Kampf zu Kampf immer mehr an Einfluss. Ich spüre deutlich, wie er sich verändert. Noch sträubt er sich, fürchtet sich sogar, aber er genießt die ungeheure Macht der Eisklinge auch zusehends.«
Dalas Miene verriet deutliche Überraschung. »Bist du dir dessen sicher? Meines Erachtens passt es so gar nicht zu deinem Sohn, dass er die Macht des Schwertes genießen könnte. Ich wundere mich eher darüber, dass er Kahandar überhaupt benutzt.«
Kellings brachten jetzt einen Krug und Becher, und die Damen schwiegen, bis die Kleinen sich wieder entfernt hatten.
Die Tochter des Nordens schenkte dann mit großer Sorgfalt den seltenen und kostbaren Wein in die Becher aus funkelndem Yapis-Stein und reichte einen davon ihrer Schwester. »Vielleicht kenne ich mein eigen Fleisch und Blut besser als du. Auf unser Leben!«
Sie trank, seufzte vor Wohlbehagen, lachte plötzlich auf und fuhr dann fort: »Unsinn! Du hast natürlich recht. Er hasst das Schwert. Es ist nur so, dass die Strapazen der Reise selbst an ihm nicht spurlos vorübergehen. Dass er seine Begleiter erneut durch das Wintergebirge schleppen musste, hat ihn fast an den Rand seiner körperlichen Möglichkeiten gebracht, doch statt der verdienten Erholung wartete Ligurius auf ihn. Seitdem kämpft er sich durch die Wildnis, und wenn er gerade einmal nicht kämpft, trägt er seine erbärmliche Frau. Seine Hand bereitet ihm immer noch Schwierigkeiten, und die Gegenwart des Generals, den er all meinen Erwartungen zum Trotz immer noch nicht getötet hat, zehrt an seinen Nerven. Allein den Anblick des Schlächters kann er kaum noch ertragen. Außerdem spürt er immer drückender die Last der Verantwortung. Dein Gideon hat es gut verstanden, ihn davon zu überzeugen, dass Wohl und Wehe der Freien Reiche einzig von ihm abhängen. Außerdem gibt es da ja noch die Quelle, die versiegelt werden muss, und die liebreizende Caitlin, die beschützt werden muss. Rhonan will allen Ansprüchen gerecht werden, aber das kann er nicht schaffen. Da er nicht dämlich ist, weiß er das auch. Einzig wenn er die Eisklinge in der Hand hält, verschwinden Schmerzen, Erschöpfung und Sorgen augenblicklich. Früher war der Branntwein seine Zuflucht, bald wird es ganz und gar Kahandar sein. Wir werden gewinnen, Dala. Wir tragen den Sieg davon.«
Die rieb wieder ihre Wade und erklärte versonnen: »Ist es nicht seltsam, dass ich in den letzten Tagen Beschwerden des Alters spüre? Meine Glieder schmerzen, und meine Erinnerung lässt mich oft im Stich. Ich benötige immer helleres Licht zum Lesen, und ich schlafe immer schlechter.«
Sie hielt mit ihrer Beschäftigung inne, schaute plötzlich hoch, und ihr Blick wurde traurig. »Jetzt verstehe ich endlich. Deshalb wolltest du Rhonan bei Ligurius also nicht helfen. Du wolltest ihn an den Rand des Zusammenbruchs treiben, damit er sich letztlich notgedrungen an Kahandar klammert. Du bist grausam, Palema. Er ist schließlich dein Sohn. Aber ich sage dir noch einmal: Du unterschätzt ihn. Außerdem hat er Caitlin und Gideon an seiner Seite. Glaubst du, die werden tatenlos zusehen, wie Rhonan sich verändert?«
Ihre Schwester ließ den Becher in ihren Händen kreisen und lachte
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