Neobooks - Die Zitadelle der Träume
vielleicht auch gut so. Auf dem Weg in die Sümpfe würden sie das Grenzland nach El’Maran durchqueren. Dort war ihre Heimat, und dort kannte sie sich aus.
In ihrer Nähe sah und hörte sie Derea, der leise zu Hylia sprach. »Es muss ein grauenhafter Kampf gewesen sein, und im Nachhinein erscheint er so überflüssig und sinnlos gewesen zu sein. Warum will man unbedingt ein Königreich besiegen, wenn man kurze Zeit später alle Reiche besiegen kann? Nur wegen der persönlichen Genugtuung? Das ist unmenschlich, das ist …« Er brach seufzend ab.
Hylia schien mit ihren Gedanken nicht bei Camoras Unarten zu sein, denn sie fragte: »Wenn ich Euch richtig verstanden habe, hattet Ihr gewaltige Verluste, aber Euer Bruder hat überlebt?«
»Ja, er ist verwundet worden, aber er lebt.«
»Schwer?« Die Sorge, die in ihrem Ton mitschwang, war nicht zu überhören.
»Er sagte: nicht schwer, nur unübersehbar. Jemand hat versucht, sein Gesicht zu halbieren. Warum wollt Ihr das wissen? Kennt Ihr meinen Bruder?«
»Ja, recht gut sogar. Ich war Heilerin in der Schlacht um Labandor. Er war ein wunderbarer Heerführer, so kühl und sicher und doch so mitreißend.«
Sie lachte verlegen auf. »Das ist alles lange her. Milena Morabe hat seinerzeit die Schützen befehligt. Ihr Pfeil hat den Hordengeneral vom Pferd geholt und die Schlacht entschieden. Mit dem Bogen soll sie besser umgehen können als ihr Vater.«
»Sie war besser als wir alle, hat jeden Wettkampf schon in unserer Jugend gewonnen. Es war schrecklich, gegen ein Mädchen mit Zahnlücken und langen Zöpfen zu verlieren, aber Milena konnte schon mit zehn Jahren einem Vogel im Flug ein Auge ausschießen. Sie starb am Gothenhügel … von Pfeilen durchbohrt.«
»Sie ist tot? Es tut mir leid, das zu hören. Sie war eine so großartige Kriegerin und nette Frau. Das wird Euren Bruder sehr getroffen haben.«
Derea räusperte sich hörbar. »Ihr wart die Priesterin, deretwegen Canon und Milena sich fast getrennt hätten?«
»Sie hätten …«
Hylia brach errötend ab, und der Hauptmann ergriff ihre Hand und sagte mit sanfter Stimme: »Das muss Euch nicht unangenehm sein. Soweit ich weiß, habt Ihr nichts Unrechtes getan. Milena war nur krankhaft eifersüchtig. Canon hat unter ihrem Tod gelitten, weil sie sich schon ewig kannten und immer davon ausgegangen waren, einmal verbunden zu werden, aber ich dachte immer, er wäre mit ihr nicht glücklich geworden. Sie hatte zu viel von ihrem Vater, fühlte sich so erhaben, war zänkisch und rechthaberisch und schon, wenn er nur einmal mit einer anderen Frau redete, hätte sie ihm am liebsten die Augen ausgekratzt.«
Sie senkte den Blick und erklärte mit leiser Stimme: »Es war … es war verrückt. Ich bin Priesterin und damit der Keuschheit verpflichtet, und ich habe mich auf den ersten Blick in Euren Bruder verliebt. Er half mir vom Pferd, wir sahen uns an, und … Was rede ich da eigentlich?« Sie sah hoch und schluckte. »Es ist nur … diese furchtbare Zeit … und … Ihr werdet es keinem verraten, nicht wahr? Schließlich sind mir nicht einmal solche Gedanken erlaubt.«
Er bedachte sie mit einem warmherzigen Lächeln. »Ihr solltet Euch ein Beispiel an meiner Halbschwester nehmen. In einer Zeit, in der wir nie wissen, was uns erwartet, sollten wir jede Gelegenheit nutzen, um ein Zipfelchen vom Glück zu erwischen. Ihr wisst gar nicht, ob Ihr die Nebelinsel jemals wiederseht. Ihr wisst noch nicht einmal, ob Ihr den morgigen Tag überlebt. Warum wollt Ihr Euch da an unsinnige Verbote halten? Liebe kann nicht schlecht sein. Versucht, mit Canon Verbindung aufzunehmen! Er wird sich riesig freuen, von Euch zu hören. Und eine Unterhaltung quer durch die Reiche sollte selbst für eine Priesterin nicht unschicklich sein.«
»Glaubt Ihr, er würde sich nach all der Zeit überhaupt noch an mich erinnern?«
Sie sah ihn schwankend zwischen Hoffnung und Zweifel an, und er grinste von einem Ohr zum anderen. »Wenn Euch zufällig das weiße Halstuch mit der hübschen Stickerei gehören sollte, das er seit Jahren immer bei sich trägt, obwohl es überhaupt nicht zu ihm passt, dann ganz sicher. Könnte durchaus sein, dass Ihr damals nicht die Einzige gewesen seid, die sich auf den ersten Blick verliebt hat.«
Ihr entschlüpfte ein glückliches Seufzen, dann beugte sie sich vor und küsste ihn auf die Wange. »Ich danke Euch, Derea. Ihr seid …«
Erneut seufzte sie auf. »Ich wollte Euch eigentlich trösten, weil Ihr
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