Neobooks - Die Zitadelle der Träume
um den Fuß zu binden? Das glaubt Ihr doch selbst nicht, oder? Es ist doch warm, Ihr könnt mir also einen Ärmel geben. Die hängen eh nur noch an einigen Fäden. Ich habe ja leider keine mehr, sonst wäre ich Euch natürlich gern zu Diensten.«
Ihre Augen blitzten, aber ohne ein weiteres Wort riss sie beide Ärmel aus ihrem Kleid und reichte sie ihm. »Hier! In spätestens zwei Tagen trage ich vermutlich keinen Fetzen mehr am Leib.«
»Welch unwiderstehlicher Gedanke«, gab er grinsend zurück und machte sich schon daran, die kurzen Äste links und rechts vom Fuß anzupassen.
Nachdem er eine Weile an den Stöckchen herumgeschnitzt hatte, bis sie seiner Meinung nach einen guten Halt für den Fuß abgaben, wickelte er den Stoff fest darum und nickte. »So müsste es gehen.«
Er half ihr hoch, drückte ihr den dicken Ast in die Hand, legte sich ihren anderen Arm um die Schulter und sagte wesentlich munterer, als er sich fühlte: »Na, dann los!«
Es wurde eine für beide sehr anstrengende und schmerzvolle Wanderung. Juna stöhnte immer wieder auf, wenn sie ihren Fuß zu sehr belastete, und Derea machte ebenfalls sehr schnell ein verkniffenes Gesicht. Doch obwohl es immer mühsamer wurde, schlug keiner von beiden eine Rast vor. Die Blöße, vor dem anderen Schwäche zu zeigen, wollte sich keiner geben.
Die Sonne war schon fast untergegangen, als sie einen kleinen Bach vor sich sahen und wie aus einem Munde erklärten: »Wir sollten jetzt …« Sie brachen ab und blickten sich verlegen an.
Derea sah Schweiß auf Junas bleichem Gesicht glänzen und bemerkte mit ehrlicher Bewunderung: »Alle Achtung! Ihr seid wirklich stark.«
»Ihr auch, Hauptmann«, gab sie zurück. »Ihr seid dämlich, aber immerhin doch stärker, als ich gedacht habe.«
Er half ihr, sich hinzusetzen, und schmunzelte. »Nur nett geht bei Euch gar nicht, oder? Ein kleiner Hieb muss immer dabei sein.«
Umgehend löste er die Stützen und legte ihr einen nassen Umschlag um den Fuß, während sie ihn versonnen dabei beobachtete. »Hat Euch eigentlich schon einmal irgendwer oder irgendwas dazu gebracht, Eure verfluchte Liebenswürdigkeit abzulegen?«
»Gelegentlich!«
Sie seufzte auf. »Die, den oder das würde ich gern einmal kennenlernen.«
»Warum?«
»Weil ich mit denen sicherlich mehr anfangen könnte als mit Euch. Aber das ist jetzt unwichtig. Ihr solltet lieber ein Zelt für die Nacht bauen. Völlig ungeschützt wird es ganz sicher zu kalt.«
»Ein Zelt?« Er sah sie verständnislos an. »Wie stellt Ihr Euch das vor?«
»Wart Ihr schon einmal längere Zeit ohne Eure Dienerschaft oder Untergebenen im Wald?« Junas Stimme klang derart höhnisch, dass er errötete.
»Hab ich mir gedacht«, erklärte sie mit spöttischem Unterton. »Dann passt gut auf, Prinz: Die einfachen Jäger oder Kräutersammler brechen Äste der Tannen ab, verflechten sie ineinander und stellen sie zum Zelt auf. Wenn Ihr es schafft, ein paar größere Tannenzweige zu beschaffen, weise ich Euch gern in die Bauweise ein. Glaubt Ihr, das könnte Euch gelingen?«
»Tannen?« Er kratzte sich am Kopf. »Das sind die pieksenden grünen Dinger, nicht wahr?« Sein Augenaufschlag war derart unschuldig, dass sie unwillkürlich laut auflachte.
Bevor sie jedoch etwas sagen konnte, fuhr er mit schiefem Lächeln fort: »Ich musste das in der Tat noch nie machen, aber ich denke trotzdem, es könnte mir gelingen. Wenn Ihr große Äste wollt, Hexentochter, sollt Ihr sie bekommen.«
»Wenn ich alles kriege, was ich will, bringt mir einen saftigen Braten, warmes Brot und Wein mit«, rief sie ihm hinterher und ließ sich zu Tode erschöpft auf den Rücken fallen.
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17. Kapitel
Auf dem Landgut Borka war die Stimmung wieder deutlich besser, seit Hylia von Canon erfahren hatte, dass Derea lebte. Keiner zweifelte auch nur im mindesten daran, dass es dem kühnen Hauptmann nun auch noch gelingen würde, sich nach Mar’Elch durchzuschlagen.
Am nächsten Tag wollten sie sich wieder auf den Weg machen.
Die Fürstin bewirtete sie ein letztes Mal nahezu königlich und stockte ihren begrenzten Kleidervorrat aus den eigenen Kammern auf.
Gideon, der dem verstorbenen Fürsten figürlich sehr nahekam, gefiel sich und den Damen in dessen Jagdkleidung sehr gut. Lederhosen und ein grünes Jackett überm weißen Leinenhemd sahen allemal besser aus als die alte zerschlissene Verianerkluft. Er genoss die weichen Stoffe, und Caitlin erklärte unumwunden, ihn das erste Mal in gutsitzender
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