Neobooks - Entbehrlich: Thriller (German Edition)
nicht gewarnt? Soll ich aussteigen, überlegte er, nach oben gehen, in die Abflughalle, und den nächsten Flug in die USA nehmen? Aber warum, aus welchem Grund? Es ist nichts geschehen. Vielleicht sehe ich Gespenster. Hoffentlich sehe ich Gespenster.
Während er überlegte, hatte die Frau begonnen, den Wagen zu erklären. Ross achtete nicht auf ihren einstudierten Singsang, bis das Navigationssystem an der Reihe war. Sie beaufsichtigte, wie er den Namen seines Zielorts eingab. Dabei schien er keinen sehr geschickten Eindruck auf sie zu machen, denn den Rest ihrer Erklärungen machte sie mit leicht erhobener Stimme in doppelter Ausführung und einfachen Sätzen. Endlich ließ sie ihn einige Papiere unterschreiben und ging.
Ross war alleine. Er hatte Zeit. Zeit, sich zu entscheiden.
Fahre ich oder nicht, dachte er.
Und wenn nicht, was wird dann aus unserem Auftrag für Dysons Tiefgarage? Habe ich einen Grund, nicht zu fahren? Oder nur Befürchtungen?
Er lauschte in sich hinein … Okay, dachte er. Ich fahre.
Er warf seine Tasche auf die Rückbank, setzte sich hinter das Steuer, schloss die Tür und hörte nur noch seine eigenen Atemzüge. Auf einmal fühlte sich Ross sicher. Ihm war, als würde er in einem Safe sitzen. Die Welt war hinter dickem, grünlichem Glas ausgesperrt. Mit einem Knopfdruck statt einer Schlüsseldrehung ließ er den Motor an. Einige kleine Lichter leuchteten zwischen den Anzeigen auf, der Zeiger des Drehzahlmessers bewegte sich und die Stille wurde ersetzt durch ein leises, entferntes Rauschen. Das Auto fuhr sanft an und im Schritttempo geräuschlos durch das Kellergeschoss des Flughafens und die Rampen hinauf. Ross hatte noch nie in einem so luxuriösen Fahrzeug gesessen.
Außerhalb des Gebäudes verflog das Gefühl von Komfort und Sicherheit. Zum zweiten Mal wurde ihm bewusst, dass er in einem fremden Land war. Die Straßen waren eng, gewunden und übervoll mit kleinen Autos, die für seine Begriffe alle viel zu schnell unterwegs waren. Zehn Minuten fuhr er unsicher und angespannt, bis er die Nachbarschaft des Flughafens mit ihrem Gewirr von Schnellstraßen und Zubringern verlassen hatte. Dann hatte er sich einigermaßen an den Wagen, die Stimme des Navigationssystems und den Betrieb auf den Straßen gewöhnt und erlaubte es sich, hin und wieder einen Blick auf die Gegend zu werfen, durch die er fuhr. Über die Schweiz hatte er sich nie Gedanken gemacht und keine Vorstellung davon gehabt, wie sie aussehen würde – nun rollte er an einem sonnigen Nachmittag auf einer Art Highway durch eine eigentümlich aufgeräumte Parklandschaft, die dicht besiedelt und von offensichtlich wohlhabenden Menschen bewohnt war. Es gab einen See und überall, wohin man sah, Berge. Die Luft schien durchsichtiger als anderswo auf der Welt, das Licht gleichmäßiger verteilt, und alle Flächen und Objekte hatten scharfe Grenzen und Konturen. Das also war die Schweiz.
Nach einer halben Stunde lotste ihn das Navigationssystem vom Highway herunter auf eine schmale, kurvige Straße und durch einen kleinen, menschenleeren Ort in Richtung Berge. Nicht weit jenseits der Ortschaft erreichte Ross sein Ziel und hielt vor einem alten Torbauwerk in einer Mauer an der Straße. Er stellte den Motor ab, stieg aber nicht aus. Durch die verschlungenen Gitter des großen, schmiedeeisernen Tores blickte er in einen Park: eine Allee, Wiesenflächen und große, alte Bäume. Von den Torpfeilern herab beobachteten ihn zwei Kameras. Irgendwo gab es sicher auch eine Kamera auf Augenhöhe, durch die er jetzt betrachtet wurde. Er wartete eine halbe Minute, dann klopfte ein Mann neben ihm an die Scheibe. Ross ließ das Fenster herunter.
»Willkommen Mr. Ross. Sie sind früh.«
Die Torflügel bewegten sich.
»Folgen Sie der Auffahrt und biegen Sie vor dem Hauptgebäude nach rechts ab. Der letzte Treppenaufgang führt zur Verwaltung. Bitte warten Sie dort, und bleiben Sie beim Wagen.«
Ross fuhr langsam los. Im Rückspiegel konnte er sehen, wie der Mann in ein Funkgerät sprach und die Torflügel zuschwangen. Nach zweihundert Metern Fahrt im Schatten der Allee erreichte er einen weiten, leeren Platz vor einem langgestreckten, schlossähnlichen Bau und bog ab, wie es ihm beschrieben worden war. Am Fuß einer breiten Treppe zum Hochparterre des Gebäudes wartete ein anderer Mann auf ihn. Trotz des sommerlichen Wetters trug er eine Schiebermütze und ein Cordjackett. Über einem angewinkelten Arm hing aufgeklappt eine doppelläufige
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