Neobooks - Entbehrlich: Thriller (German Edition)
gebrochen? Er beugte unter Qualen das Knie und stemmte mühsam den Fuß gegen den Wagenboden. Beides funktionierte, nichts knirschte. Okay. Dann hatte er wohl nichts Schlimmeres als eine schwere Prellung, einen Bluterguss und ein paar gequetschte Nerven. Hoffentlich. Er wartete ab, bis sich das Bein beruhigt hatte, und atmete dann mehrmals tief ein und aus. Kein Blubbern in den Bronchien, keine Stiche in der Brust; seine Lunge war anscheinend unverletzt, und seine Rippen waren nicht eingedrückt. Höchstens angeknackst. Er drückte behutsam das Rückgrat durch und drehte seinen Oberkörper leicht hin und her. Noch einmal musste er einige Sekunden warten, bis die Schmerzen abgeklungen waren und er wieder klar denken konnte, aber Brust- und Rückenwirbel schienen unversehrt. Er versuchte, sein Herz zu spüren – nichts. Vorsichtig betastete er seinen Bauch unterhalb der geprellten Rippen. Wenn er innere Verletzungen hatte, welche Organe saßen auf der linken Seite? Das Herz saß in der Mitte. Die Leber war rechts. Die Milz? Wo war die Milz? Was gab es noch? Wenn er innere Verletzungen hatte, Blutungen, dann würde er Fieber bekommen und ohnmächtig werden. Dann musste das Mädchen sehen, wie sie alleine weiter kam. Dann war die Reise für ihn zu Ende. Aber bis dahin …
Der Verkehr, in dem sie mitschwammen, wurde immer langsamer und dichter. Ross war mit sich selbst beschäftigt und bemerkte es erst, als sich ihre Straßenseite von zwei auf drei Spuren verbreiterte, die Trucks ausscherten und sich auf einer eigenen Spur versammelten und der Strom der Fahrzeuge herunterbremste und sich locker staute. Was war das? Er versuchte, an den vorausfahrenden Wagen vorbei zu sehen, was sie aufhielt. Ein Unfall? Eine Straßensperre? Ein großes, blaues Schild über der Straße, hundert Meter vor ihnen, klärte ihn auf. Douane. Frontière. Es dauerte, bis sein Hirn die französischen Worte in vertraute spanische umgewandelt hatte: Aduana, Frontera. Grenze. Dann kam der Schreck: eine Grenze! Kontrollen! Wieso gab es hier eine Grenze? Ross sah sich rasch um. Es gab keine Möglichkeit abzubiegen, zu halten oder gar umzukehren. Der dreiadrige Fahrzeugstrom trieb langsam, aber stetig weiter und schwemmte sie mit. Vor ihnen tauchte das Dach des Grenzübergangs auf, darüber eine rote Flagge mit einem weißen Kreuz. Dann konnte er Uniformierte sehen, die jeweils zu zweit neben jeder Fahrspur standen.
Das war’s dann, dachte er zum zweiten Mal an diesem Tag.
Sie hatten keine Chance. Ihr auffälliges Auto. Das unverwechselbare Mädchen. Die Einschussstelle an der Tür. Die Pistole! Ross hatte sie in den Fußraum der Beifahrerseite geworfen; jetzt war sie außerhalb seiner Reichweite. Noch vierzig, noch dreißig Meter. Gleich würde ein SWAT-Team schreiend den Wagen einkreisen. Wie schön, dass das Auto kugelsicher ist, dachte er. Ich werde noch am Leben sein, wenn der Einsatzleiter endlich Feuer einstellen ruft.
Ross suchte im Rückspiegel das Mädchen. Sie saß schräg, um ihre Beine strecken zu können, und zeigte ihm ihr Profil. Sie wirkte angespannt, aber weder unruhig noch offensichtlich besorgt. Sollte er sie irgendwie warnen? Sich von ihr verabschieden? Die Grenzbeamten waren nur noch wenige Meter entfernt. Sie standen gelassen nebeneinander, unterhielten sich und betrachteten die vorbeiziehende Fahrzeugkarawane scheinbar beiläufig. Ross war auf alles gefasst und im nächsten Moment an ihnen vorbei. Ist das möglich, dachte er, kann das sein? Vor ihm, hundert Meter entfernt, lag die nächste Kontrollstelle, und sie sah genauso aus wie die, die sie gerade hinter sich gelassen hatten. Nur die Flagge war anders. Es kann nicht wahr sein, dass uns keiner aufhält, dachte er, sicher werde ich jetzt, im Niemandsland, gestoppt, oder am nächsten Übergang. Aber nichts geschah. Nichts. Sie rollten ungehindert im Schritttempo weiter, wie all die Wagen vor, hinter und neben ihnen. Noch bevor sie in die zweite Kontrollstelle einfuhren, begann Ross zu glauben, dass sie es schaffen würden. Aber auch wenn sie Glück hatten und noch nicht gesucht wurden, irgendeine Kontrolle musste es doch geben. Er tastete nach seinem Pass in der Innentasche seines Jacketts und versuchte sich zu erinnern, wo die Wagenpapiere waren.
Wieder standen zwei Uniformierte nebeneinander am Rand der Fahrspur und betrachteten den trägen Fahrzeugstrom. Einer von ihnen, ein junger Mann mit dem gesunden, freundlichen Gesicht eines Farmkindes, ging halb in die Knie, als
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