Neobooks - Entbehrlich: Thriller (German Edition)
meinem Zustand, dachte er. Das schaffe ich nicht. Ich habe keine Zeit dafür. Er drehte sich zu dem Mädchen um. Sie achtete nicht auf ihn; sie saß vornübergebeugt und war dabei, ihr Haar im Nacken zu bündeln. Los. Langsam. Ross glaubte, eine Erschütterung zu spüren, als die Räder des schweren Fahrzeugs die Beine des ersten Toten zermalmten. Der fühlt nichts mehr, sagte er sich, der ist hin. Im Vorbeifahren warf er einen schnellen Blick auf den anderen, der auf dem Rücken lag. Sein Mund und seine Augen waren weit geöffnet, als das Auto langsam über seine Füße fuhr. Bewegte er sich? Bewegte ihn das Rad? Vorbei. Im Rückwärtsgang rollten sie die Fahrgasse entlang, bis sie die Rampe zur Oberfläche erreichten. Ross wendete und sah am anderen Ende der Tiefgarage die Rückfahrscheinwerfer des Vans der Angreifer. Er wollte auch verschwinden. Oder ihnen folgen? Die Toten einsammeln? Egal. Nichts wie weg. Vor ihnen: Tageslicht.
Draußen war alles wie vorher. Der freundliche Tag, der Verkehr, die Menschen. Keine besondere Unruhe, keine Blaulichter, kein Auflauf, niemand zeigte mit dem Finger auf ihren Wagen oder schaute ihnen nach. Es war vorbei. Sie hatten es überstanden. Sie waren am Leben, frei und außer Gefahr – für den Moment wenigstens. Für dieses Mal.
10. Kapitel
R oss hatte keine Ahnung, wohin er fahren sollte. In den ersten Minuten ihrer Flucht machte er sich auch keine Gedanken darüber. Seine Nerven lagen blank, und die Fahrt durch den dichten Nachmittagsverkehr in der Umgebung des Flughafens forderte seine ganze Aufmerksamkeit. Ein Unfall oder auch nur das Interesse einer Verkehrsstreife, und sie saßen fest. Zwar war Polizei nirgendwo zu sehen, aber er wusste, dass sie innerhalb einer Minute auftauchen würde, wenn etwas passierte, und dass der Highway, auf dem sie unterwegs waren, zumindest an den zahlreichen Brücken und Unterführungen videoüberwacht war.
Nach und nach beruhigte er sich etwas und fing wieder an zu denken. Er wusste nicht, wo er war, und nicht, wohin die Straße führte, auf der sie fuhren. Er verwünschte sich für seinen Mangel an Voraussicht. Schon vor Wochen hätte er sich einen Reiseführer für die Schweiz kaufen können, der ihm jetzt bei der Orientierung geholfen hätte. Das Navigationssystem war nutzlos. Wenn es ihm anzeigte, wo er war, dann konnte er mit der Ortsangabe nichts anfangen, und ebenso wenig konnte er ein Ziel eingeben, denn er hatte kein Ziel. Zum Flughafen und zur Internatsschule, den einzigen Orten, die er kannte, konnte er nicht zurück. Außerdem misstraute er dem Navigationssystem und dem GPS. Ross war sich sicher, dass die Standortbestimmung in beide Richtungen funktionierte und dass die Polizei sie über das System lokalisieren konnte, wenn sie ihr Auto kannte. Hatten nicht alle Luxusfahrzeuge eine verborgene GPS-Antenne, damit sie nach einem Diebstahl von den Versicherungen wiedergefunden werden konnten? Schöne Aussichten.
Was ihm also blieb, und was ihm deshalb zweckmäßig und vernünftig erschien, war, so viel Abstand wie möglich zu der Tiefgarage zu gewinnen. Wenn nach ihnen gefahndet wurde, dann nahm die Gefahr, gefasst zu werden, mit der Entfernung zum Flughafen ab. Nicht schnell, nicht viel, aber immerhin. Ein Risikofaktor war das Auto. Ross hätte viel, alles, dafür gegeben, jetzt in einem gewöhnlichen Wagen zu sitzen. Die Karosse hätte nicht auffälliger sein können, wenn sie auch noch kleine Flaggen auf den Frontkotflügeln getragen hätte. Und sie war so lang und breit, dass sie selbst aus dem Weltall sichtbar sein musste. Auch der gleichgültigste Polizist würde sie nicht übersehen, und es waren noch mindestens fünf Stunden bis zur Dunkelheit.
Je länger sie ungehindert unterwegs waren, umso mehr sanken seine Anspannung und sein Adrenalinspiegel, und seine reguläre Körperwahrnehmung meldete sich zurück. Zuerst fühlte er nur einen stumpfen, undeutlichen Druck an Oberkörper und Bein, den er nicht beachtete. Dann, als er sich in seinem Sitz bewegen wollte und dabei das verletzte Bein zu Hilfe nahm, durchfuhren ihn heftige, glühende Schmerzen. Sie waren so stark und so überraschend, dass sie ihm Tränen in die Augen trieben. Alarmiert und gepeinigt erforschte ein Teil seiner Aufmerksamkeit sein Bein und seinen Brustkorb, während er gleichzeitig weiter auf den Verkehr achtete. Er registrierte, dass die Schmerzen zwar nachließen, aber nicht mehr ganz verschwanden, auch wenn er sich nicht bewegte. War das Bein
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