Neobooks - Entbehrlich: Thriller (German Edition)
das Mädchen kümmern.
Dann war er allein. Er wanderte durch den stillen Raum, zog die Gardinen auf und warf einen Blick in das geräumige Bad. Zum Zimmer des Mädchens hin gab es eine große zweiflügelige Schiebetür.
Ross traute sich nicht, sich zu setzen, weil er wusste, dass er sofort einschlafen würde. Die Müdigkeit lastete auf ihm wie ein schwerer, steifer Mantel; die Kopfschmerzen waren unverändert. Das Bett war riesig und einladend. Doch bevor er schlafen durfte, musste noch der Wagen versteckt werden – in einem Parkhaus oder einer Tiefgarage, jedenfalls unter einem Haufen Stahl, der hoffentlich die Ortung verhinderte.
Das Mädchen hatte sich schon auf ein Bad und ein richtiges Frühstück eingestellt, aber Ross musste sie nicht wirklich überreden, mitzukommen. Sie besorgte einen Stadtplan an der Rezeption, während er vor dem Eingang unter dem Baldachin darauf wartete, dass der Wagen vorgefahren wurde.
Diesmal stieg sie vorne ein. Sie fuhr ihren Sitz zurück, so weit es ging. Am Rande der Altstadt fanden sie ein Parkhaus und stellten das Auto im Tiefgeschoss ab. Ein Taxi brachte sie zurück ins Hotel.
Ross schlief ein, bevor sein Kopf auf dem Kissen lag.
Als er wieder aufwachte, wusste er nicht, wo er war.
Er lag wie gelähmt auf dem Rücken, ohne Zeit- und Körpergefühl, und ohne zu begreifen, was er sah. Seine Augen waren nass. Er hatte geträumt. Sehnsüchtig verfolgte er das schwindende Echo des Traums, voll vom unbekümmerten Singsang einer Unterhaltung zwischen Lourdes und Christina. Wie immer, wenn sie unter sich waren, sprachen sie das melodische, sanfte castellano, das Lourdes aus ihrer alten Heimat mitgebracht hatte. Gleich würde das Kind die Tür aufreißen, um ihn zum Frühstück zu holen, und aus der Küche den Duft von Spiegeleiern und frittiertem Püree aus schwarzen Bohnen mitbringen. Die kostbare Täuschung verflog und hinterließ ihn mit einem hohlen Gefühl in der Brust. Am liebsten hätte er weitergeschlafen. Aber dann arbeiteten alle seine Sinne wieder zusammen und beförderten ihn in die Gegenwart. Es war noch Tag. Er erkannte das Hotelzimmer. Die Schiebetüren zum Nachbarzimmer waren einen Spalt weit offen. Ross stand hastig auf. Im Kampf mit seinem verschlafenen Gleichgewichtssinn und den wiederkehrenden Schmerzen streifte er sich ungeschickt Hose und Hemd über und hinkte barfuß durch den Raum. Er schob die schweren Türen weiter auseinander. Sie waren doppelwandig und ihre Innenseiten dick gepolstert. Mit einem Auge blickte er durch die Öffnung. Das Mädchen war nicht da. Das Zimmer sah aus wie nach einer Razzia. Einer der Koffer lag offen auf dem Boden, über alle Möbel waren Kleider verstreut, und ein Teil der Einrichtung war anscheinend verschoben worden. Das Bett war zerwühlt. War etwas passiert?
Ross unterdrückte seine zunehmende Unruhe, um sich entscheiden zu können. Statt einfach das Zimmer zu betreten, würde er erst nach ihr rufen. Vielleicht lag sie ja in der Badewanne
Sie antwortete vom Balkon. In Rock und Bluse, die langen, runden Beine hochgelegt, mit einer Vogue auf dem Schoß und einer Sonnenbrille im Gesicht, saß sie in einem Korbsessel in der Abendsonne. Der Balkon war nur einen Meter tief. Ross trat an die niedrige Brüstung und blickte verständnislos über den kleinen Hafen, dessen Ausgang zum Meer von zwei klobigen mittelalterlichen Türmen flankiert wurde. Er sah große und kleine Yachten und ein paar bunte Ausflugsboote an den Landungsstegen, die halbrunde Promenade um das Hafenbecken mit ihren gestutzten Platanen und die reich verzierten Fassaden alter Häuser an der Straße, die die Promenade begleitete.
Disneyland, dachte er benommen.
Unter ihm zog im freundlichen Licht der späten Sonne eine zwanglose Prozession abendlicher Spaziergänger über die Promenade. Weil kaum Autos fuhren, war das friedliche Geräuschgemenge aus Gesprächsfetzen, Schritten auf dem Pflaster, gelegentlichem Gelächter und Kinderstimmen bis in das zweite Stockwerk zu hören. Wenigstens jedes dritte Haus um den Hafen musste ein Lokal sein, denn der Bürgersteig war mit Tischen von Straßencafés zugestellt, und alle waren besetzt. Man konnte Musik hören.
Ross hatte Mühe, das was er sah, als Realität zu akzeptieren. Er war seit fünfzehn Jahren New Yorker. Außerhalb von Kino und Fernsehen hätte er die Szenerie, die er gerade betrachtete, nicht für möglich gehalten. Das Mädchen holte ihn in die Wirklichkeit zurück. Sie ließ die daumendicke
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