Neobooks - Entbehrlich: Thriller (German Edition)
kalte Teller eines Stethoskops hüpfte auf seiner Brust hin und her. Männer versammelten sich um ihn, bückten sich zu ihm, drückten ihn auf seine Unterlage und stülpten ihm eine Maske über Mund und Nase, durch die er lange Zeit atmen musste. Danach ging es ihm besser. Er sah ins Licht, bis er es nicht mehr ertrug und versuchsweise die Augen schloss. Er wartete, aber niemand schlug ihm ins Gesicht. Er horchte in sich hinein: Sein Herz pochte fest und gleichmäßig, er atmete automatisch und ohne Mühe. Er würde weiterleben. Erschöpft schlief er ein.
Diesmal war das Mädchen in seinem Traum. Er stand auf dem Bürgersteig vor dem Marco’s, wenige Augenblicke, nachdem die drei Limousinen abgefahren waren, und auf der anderen Straßenseite war das Mädchen. Im ersten Moment fürchtete er, sie würde vor ihm davonlaufen, aber nein, sie reckte sich, winkte ihm zu, so, wie sie ihm im Leo’s von der Tanzfläche aus zugewinkt hatte, und rief: »Keine Sorge Walter, es geht mir gut.« Dann kam sie über die Straße. Im Traum war sie nicht so groß wie in Wirklichkeit. Als sie vor ihm stand, konnte er ihr in die ungleichen Augen sehen, ohne den Kopf in den Nacken legen zu müssen. Sie lächelte. Sie war barfuß. »Carmen«, sagte er, »du musst geschlossene Schuhe anziehen.« Sie lachte. »Du bist prüde, Walter, das ist das Problem. Seit ich dich kenne, hast du nicht ein Mal Murp gesagt.«
Murp? Kälte und schmerzhafter Harndrang weckten Ross. Er schlug die Augen auf und wusste, dass er etwas tun musste. Er versuchte, sich zu bewegen. Es ging. Er rollte sich auf die Seite und sah zum ersten Mal etwas anderes als die Neonröhre. Sein Hirn arbeitete wieder. Er lag auf einem primitiven Bett unter einer Militärdecke. Er war nackt. Sein linker Arm war durch eine Handschelle mit dem niedrigen Gitter am Kopfende des Bettes verbunden. Er setzte sich auf (es war einfacher als er befürchtet hatte) und sah sich um. Er war in einer Zelle. Sie war fensterlos und kaum doppelt so lang und breit wie das Bett. An der Schmalseite des Raumes, hinter dem Bett, gab es eine Toilette ohne Brille und Deckel und ein winziges Handwaschbecken unter einem Wasserhahn, alles aus rostfreiem Stahl, typische Gefängnisarmaturen. An der anderen Schmalseite der Zelle war die Tür. Ross erhob sich vorsichtig und schlurfte, von der Handschelle eingeschränkt, halb gebückt um das Kopfende des Bettes herum. Indem er den gefesselten Arm soweit wie möglich nach hinten streckte, gelang es ihm, nahe genug an die Kloschüssel heranzutreten. Ehe er fertig war, hörte er die Tür, und als er sich umwandte, standen zwei Männer am Fußende des Bettes.
Das Erste, was Ross auffiel, war, dass sie Latexhandschuhe trugen und jeder einen Schlagstock hielt. Er sah ihre harten, gleichgültigen Gesichter und wurde sich seiner Ohnmacht und Verwundbarkeit bewusst: Er war nackt und ans Bett gekettet. Sein Herz setzte einen Schlag aus. Seine Hoden hoben sich, seine Eingeweide wurden schwer und flüssig, und beinahe hätte er die Kontrolle über seinen Schließmuskel verloren – gleich würden sich die Männer mit den Schlagstöcken über ihn hermachen. Einige Sekunden lang brauchte er seine ganze Kraft und Konzentration, um nicht in Panik zu geraten. Ross hatte keine Ahnung, ob und wie er eine systematische Misshandlung überstehen würde. Physische Gewalt war ihm nicht fremd und ängstigte ihn nicht, aber nur, nackt, frierend und angekettet erkannte er –, weil er immer kämpfend an ihr beteiligt gewesen war. Als Opfer kannte er sich nicht.
Ross war wie gelähmt; gleichzeitig suchte er fieberhaft nach einem Grund für die Hoffnung, davonzukommen. Die Handschuhe bedeuteten, dass die Männer Polizisten oder Soldaten waren, redete er sich ein, natürlich eine Sondereinheit, denn in ihrer nachlässigen Zivilkleidung und mit ihren Laufschuhen waren sie nicht von den Angreifern in der Flughafengarage zu unterscheiden. Und weil sie Polizisten oder Soldaten waren, hatte er eine Chance. Wenn sie ihn zusammenschlugen, dann würde das nach Regeln geschehen, das wusste Ross. Er kannte die Regeln. Sie würden ihn nicht totschlagen. Sie würden ihn nicht unnötig schwer verletzen und auch nicht auffällig entstellen. Wenn er es schaffte, auf den Beinen zu bleiben, würden sie ihn nicht sexuell misshandeln, und wenn er sich wehrte, kämpfte, würden sie eher aufhören. Aber wie sollte er sich wehren? Ross hatte bei der Armee eine Nahkampfausbildung erhalten, und einige der
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