Neobooks - Entbehrlich: Thriller (German Edition)
der Mann zusammengebrochen, den er mit der erbeuteten Pistole erschossen hatte. Ross beobachtete, wie er selbst sich hinter dem Wagen nach und nach aufrichtete. Gespannt verfolgte er seine Bemühungen. Sie dauerten länger, als er sie in Erinnerung hatte. Als er endlich stand, brauchte es noch einmal vier Bilder, bis er am anderen Ende des Wagens angekommen war. Im übernächsten Bild fehlte der Van. Reno hielt die Wiedergabe an. Ross sah sich mit ausgestrecktem Arm erstarrt. Die Pistole in seiner Faust war klar auszumachen. Die Männer standen mit dem Rücken zu ihm und blickten in die Richtung, in die der Van verschwunden war.
Reno lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sah Ross an. »Nun?«
»Bis jetzt habe ich noch nichts gesehen, was Sie bei Gericht verwenden könnten.«
» Monsieur Ross, wenn man Sie vor Gericht bringen wollte, dann säßen Sie nicht hier. Verstehen Sie, es geht mir nicht darum, etwas zu beweisen. Ich zeige Ihnen die Aufnahmen, damit Sie sehen, was ich sehe. Nur wenn Sie sehen, was ich sehe, ist unsere Unterhaltung sinnvoll.«
Reno drückte eine Taste. Nach einer kleinen Verzögerung erschien das nächste Bild. Vor der Pistole im Bild war ein heller Fleck zu sehen – Mündungsfeuer. Das Unwahrscheinliche war passiert. Die Kamera hatte im Moment des Schusses ausgelöst. Ruck, ruck. Erst lag ein Mann am Boden, danach der andere. Dann sah sich Ross die Pistole auf den Kopf eines der Liegenden richten und hinter ihm stand das Mädchen, leicht vorgebeugt, die Hände auf den Ohren. Wieder drückte Reno die Pausentaste.
»Sehen Sie, was ich sehe, Monsieur Ross«, sagte er. »Ich sehe vier Männer und eine junge Frau. Ich sehe, wie einer der Männer die anderen drei gezielt niederschießt und einem von ihnen zusätzlich in den Kopf feuert. Ich sehe drei Hinrichtungen.«
Ross sagte lahm: »Ich nicht.« Sie haben keine Leichen, dachte er, nur die Aufnahme.
»Die Schweizer«, fuhr Reno fort, »dachten erst an eine Auseinandersetzung zwischen Menschenhändlern, vielleicht wegen der jungen Frau, ich weiß es nicht. Es interessiert mich auch nicht. Der Vorfall braucht keine Erklärung, wenn man sich die Beteiligten ansieht. Die junge Frau stammt mütterlicherseits aus der kolumbianischen Oligarchie, aus einer Familie, die schon zweihundert Jahre begütert und einflussreich war, bevor sie in den Achtzigern und Neunzigern noch einmal Berge von Geld in der Kokainlogistik gemacht hat. Der Vater der jungen Frau ist US-Amerikaner und ein hoher Offizier. Er ist nicht mehr aktiv und praktisch unsichtbar. Außer, dass es ihn gibt, ist so gut wie nichts über ihn zu erfahren. Das spricht für sich. Begleitet wird die junge Frau von einem bewaffneten Ex-Polizisten, der, als er noch im Dienst war, zwei Menschen erschossen hat …« Reno klopfte auf den Hefter.
Ross sagte: »Ich war nicht bewaffnet.«
»… der im Dienst zwei Männer erschossen hat und jetzt vor laufender Überwachungskamera kaltblütig noch einmal drei umlegt, bevor er mit ihr, der Enkelin eines Drogenbarons, in einer gepanzerten Limousine über die nächste Grenze flüchtet.«
Ross sagte: »Reno, Sie fantasieren.«
»Ah, finden Sie? Habe ich schon die Handtasche der jungen Frau erwähnt, bis obenhin voll mit Geld in drei Währungen?«
Ross sagte: »Das Mädchen hat nichts getan.«
»Was sie getan hat oder nicht, spielt keine Rolle.« Reno klopfte wieder auf den Hefter. »Ich lese, Sie waren Soldat.«
Ross nickte.
»Waren Sie irgendwo dabei? Grenada, Panama, Somalia, Kuwait?«
Ross schüttelte den Kopf.
»Wie viele Menschen haben Sie als Soldat getötet?«
Ross zögerte und sagte dann umständlich: »Ich bin verpflichtet, über meine Zeit als Soldat Stillschweigen zu bewahren.«
»Ah, mon Dieu! Sie verderben mir die Stimmung mit solchen Mätzchen. Sie denken jetzt wahrscheinlich, dass Sie taktisch klug geantwortet haben, aber eigentlich bestätigen Sie nur, was ich annehme. So beherrscht und präzise, wie Sie es in der Tiefgarage waren, wird man nur durch Training und Erfahrung.«
»Die Bilder vermitteln einen falschen Eindruck.«
Über Renos gelbliches Fuchsgesicht huschte so etwas wie ein Lächeln. »Bilder sind Bilder. Es kommt darauf an, wer sie betrachtet.« Er zog das Notebook zu sich heran. »Sie sind recht einsilbig, Monsieur Ross. Ich hatte gehofft, dass ein Gespräch mit Ihnen unterhaltsamer wäre.«
»Tut mir leid, wenn ich Sie enttäusche.«
»Nun, Sie haben jetzt Gelegenheit, mich zu entschädigen. Erzählen Sie,
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