Neobooks - Entbehrlich: Thriller (German Edition)
schönes Haar; sie trug es wie eine Krone. Ihre schlanken Beine waren weiß und glatt wie Elfenbein, und sie hatte zierliche Füße in eleganten, matt glänzenden Schuhen.
»Wie geht es Ihnen?«
Ross schüttelte seine Ketten. »Was meinen Sie, wie es mir geht?«
»Haben Sie Geduld, Walter. Vielleicht kann ich etwas für Sie tun, wenn wir uns unterhalten haben.«
Geduld? Unterhalten? »Hören Sie, Denise, ich kann Ihnen nicht mehr und nichts anderes erzählen, als das, was ich Reno schon erzählt habe.«
«Reno?«
»Der kleine Mann mit der Brille.«
»Ah, ja. Ich weiß, was Sie Reno erzählt haben. Das interessiert mich nur am Rande. Ich will mit Ihnen über Sie sprechen. Und ein paar Tests machen.«
»Sind Sie Psychologin?«
»So ähnlich.«
Ross sagte: »Ich weiß noch nicht, ob ich mich mit Ihnen unterhalten werde, aber ich mache keine Tests mit.«
»Fürchten Sie sich davor?«
»Nein. Ich habe schon oft Tests gemacht, und ich fand sie immer langweilig, anstrengend und sinnlos. Am Ende kommt heraus, was herauskommen soll. Genauso gut können Sie einfach irgendetwas über mich behaupten.«
»Solche Tests meine ich nicht.«
Ross sagte: »Ich unterhalte mich mit Ihnen, wenn Sie etwas für mich tun. Vorher.«
»Sie sind in keiner guten Verhandlungsposition, Walter.«
»Ich weiß. Aber es ist nicht viel, was ich verlange.«
Sie machte eine auffordernde Handbewegung.
»Ich will das Mädchen treffen.«
»Das entscheide nicht ich.«
»Wer dann? Reno? Reden Sie mit Reno.«
»Nein. Es geht ihr gut.«
»Haben Sie sie gesehen? Mit ihr gesprochen? Wo ist sie?«
»Es geht ihr gut. Das muss Ihnen reichen. Was noch?«
»Ich will duschen. Heiß. Ich will die Klamotten wechseln, ich will mich rasieren. Ich will Toilettenpapier und eine Zahnbürste.«
»Einverstanden. Ich glaube, das ist im allgemeinen Interesse.«
»Ich will …«
»Das genügt.«
»… wissen, warum ich hier bin. Was soll dieses Gespräch?«
Sie antwortete nicht sofort. Sie sagte nach einer Pause: »Es bringt Ihnen nichts, das zu wissen.«
»Ich arbeite nur mit Ihnen zusammen, wenn ich weiß, um was es geht.«
»Meinetwegen.« Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. »Wenn Sie darauf bestehen. Aber es wird Ihnen nicht gefallen, was ich Ihnen jetzt sage. Also, neben anderen Dingen, die ich beruflich mache, forsche ich über Mörder …«
Ross war sich nicht bewusst, seinen Ausdruck und seine Haltung verändert zu haben, aber die Frau machte eine beschwichtigende Geste. »Ich benutze diesen Begriff ohne Wertung. Ich meine damit nicht Menschen, die aus Hass oder Habgier töten, die ihre Ehepartner erschlagen oder vergiften oder ihrer Großmutter ein Kissen aufs Gesicht drücken, um sie zu beerben. Auch nicht Psychopathen, also Mörder ohne nachvollziehbare Motive. Ich meine Menschen, die beruflich oder wiederholt, zweckmäßig, uneigennützig und leidenschaftslos anderen Menschen das Leben nehmen. Soldaten und Polizisten aus Spezialkommandos, Sterbehelfer, Scharfrichter, Altenpfleger, Berufskiller, Ärzte. Sie waren Soldat und Polizist, Walter. Wir wissen, dass Sie fünf Menschen getötet haben. Bei dreien von ihnen haben wir Sie bei der Arbeit beobachten können. Ich glaube, dass Sie einer sind.«
Ross fragte: »Was gibt es dann noch zu forschen?«
»Normale Menschen haben, wie alle höheren Tierarten, eine angeborene Tötungshemmung gegenüber ihrer eigenen Art. Sie versagt höchstens unter extremem Stress. Mit etwas Mühe und Geschick lässt sie sich aber herunterkonditionieren oder überlagern, zum Beispiel beim Militär. Trotzdem sind die meisten, wenn sie getötet haben, anschließend mehr oder weniger traumatisiert. Wir wissen aber, dass etwa drei Prozent aller Männer keine Tötungshemmung haben. Fast alle sind Psychopathen.«
Ross sagte: »Bin ich deshalb gefesselt?«
»Das ist Standardprozedur. Nein, eigentlich glaube ich, dass Sie zu den Ausnahmen gehören. Erfolgreiche Psychopathen sind einnehmende Persönlichkeiten, wenn auch manipulativ und dominierend. Sie sind extrovertiert, eloquent, gesellig, charmant, oft sogar ausgesprochen charismatisch.«
Ross sagte: »Und ich bin nichts davon?«
Sie hob die Schultern. »Betrachten Sie’s als Kompliment.«
»Nicht einmal charmant?«
Sie ging darauf ein, aber anders, als er gehofft hatte. Sie antwortete nüchtern, ohne zu lächeln. »Ihre Schüchternheit hat einen gewissen Charme.«
Schüchternheit. Ross suchte nach einer Erwiderung, aber es fiel ihm nichts ein. Er saß
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