Neobooks - Entbehrlich: Thriller (German Edition)
führten. Einmal war es für kurze Zeit völlig still, und man konnte nur die Geräusche aus dem angrenzenden Festsaal hören. Ein Mann hielt sein Mobiltelefon in der ausgestreckten Hand so, wie man einem Dämon ein Kruzifix entgegenhält, und folgte Carmen damit. Ross rätselte einen Moment über diese Geste, bevor ihm aufging, dass sie fotografiert oder gefilmt wurde. Unruhe beschlich ihn. Er musterte das Publikum. Unter den Frauen war keine, die so etwas wie brasilianisches Haar hatte. Einige waren offenbar Sekretärinnen oder die bessere Version davon, Assistentinnen. Die übrigen waren kostbare Kreaturen, wie man sie für Geld bekommt. Man sah es nicht ihnen an, dass sie Huren waren, sondern ihren Begleitern. Nach der Aufmachung zu urteilen, gehörte etwa die Hälfte der anwesenden Männer zu den Gästen, die aus dem Festsaal gekommen waren, um zu rauchen oder zu telefonieren. Manche saßen und waren deshalb nicht leicht einzuschätzen. Wenigstens zehn, stellte Ross bei genauerem Hinsehen fest, waren Bodyguards und Sicherheitsleute. Bei dreien bemerkte er, dass sie Waffen trugen. Keiner von denen gehörte zu Hausers Truppe.
Wieder einmal hatte Ross das Gefühl, einen Fehler gemacht zu haben und in eine Falle gelaufen zu sein. Sein letztes Telefongespräch mit Hauser kam ihm in den Sinn. Auf der anderen Seite des Raumes saß Carmen jetzt in einem der Sessel. Ihre Bewacher standen beisammen und beratschlagten; sie schienen sich über irgendetwas uneinig zu sein. Schließlich lief einer von ihnen eilig los und an Ross vorbei in die Lobby. Die anderen verteilten sich und postierten sich einige Schritte von Carmen entfernt um sie herum. Ross durchquerte den Raum, wand sich an Nash und Stills vorbei, die sich ihm entgegenstellten, und ließ sich in einen Sessel neben Carmen fallen.
»Carmen, was ist das hier? Was tun wir hier?«
»Wir sind in einem Hotel, Walter. Einmal im Jahr veranstalten mein Vater und Onkel Charles eine Party oder so was Ähnliches für die Leute, mit denen sie Geschäfte machen. Wir warten. Einer der Jungs ist unterwegs zu meinem Vater.«
Ross entschied, dass sie mit drei Beschützern sicher war. Er sagte: »Ich sehe mich mal um. Okay? Ich bin gleich zurück.«
Sie nickte geistesabwesend.
Ross schlenderte an der Peripherie des Raumes entlang und versuchte wie beiläufig, die Türen, an denen er vorbeikam, zu öffnen. Alle waren verschlossen bis auf die Notausgänge zu den Feuertreppen. Er öffnete sie und fand dahinter jedesmal leere Korridore. Bewegungsmelder aktivierten die Beleuchtung. Über den Türen am anderen Ende mit der Aufschrift Fire Exit hingen Kameras. Ross erwartete, in der Lobby mehr Kameras zu finden, aber gegenüber den Fahrstühlen, unter der hohen Decke, sah er nur die Halterungen und lose Kabel. Sie waren abmontiert. Wer immer mit den Lifts kam oder ging, wurde nicht aufgezeichnet. Whittaker und seine Gäste mochten es diskret.
Am Eingang zum Saal versperrten ihm die Aufpasser den Weg. Ross wanderte weiter durch die Lobby und in Gänge, die von ihr abzweigten. Gegenüber der Rückseite der Fahrstuhlschächte fand er eine Tür, die sich öffnen ließ, und gelangte in den Servicetrakt. In engen Durchgängen, zwischen überfüllten Anrichten, Schränken und Stapeln von Kartons, drängten und lärmten Küchenpersonal und Kellner. Es war heiß. Die Klimaanlage arbeitete nicht für das Personal. Es stank; überall stand und lag gebrauchtes Geschirr und Küchengerät herum, dazwischen angebrochene Packungen und offene Lebensmittel. Alle Oberflächen waren verdreckt. Ross suchte sich einen Weg durch das Chaos. Niemand achtete auf ihn. In einem Labyrinth von Küchen-, Kühl- und Arbeitsräumen fand er zwei andere Notausgänge, die erstaunlicherweise freigehalten waren, und die Service-Aufzüge. Er prägte sich ihre Lage ein und wie er zu ihnen gefunden hatte. Auf dem Weg zurück in die Lobby verfolgte ihn im Gedränge einige Schritte weit ein bleicher, schwitzender Mann im Smoking. Er trug ein Headset und ein Clipboard und schrie ihm durch den Lärm nach: »Wo ist das Eis, wo ist das Eis, haben Sie das Eis?«
In weniger als zehn Minuten hatte Ross einen Überblick über den Ort, an dem er sich befand. Er hatte alle offenen Zu- oder Ausgänge lokalisiert, kannte die kürzesten Wege zu ihnen, und er wusste, wohin er laufen würde, wenn es galt, schnell zu verschwinden. Er machte sich auf den Rückweg.
Als er aus der Lobby kam, sah er von der Tür aus zwei Personen, die er noch
Weitere Kostenlose Bücher