Neobooks - Erotische Frühlingsträume
erstarrte, noch ehe die anderen reagierten. Dann ging alles sehr schnell. Frau Mendel sprang auf, die Kinnlade ihres Mannes klappte herab, und Jasmin schlug die Hände vor dem Mund zusammen.
Anna jedoch atmete nicht einmal mehr; sie war unfähig, sich zu rühren.
Im Türrahmen, direkt hinter Alexander, erschien ihr Fremder, der in dem Bruchteil einer Sekunde nicht nur einen Namen, sondern dazu noch eine Familie und vor allem die gesamte Geschichte bekam, die er so sorgfältig vor Anna hatte verbergen wollen.
Er
war das Sorgenkind der Familie. Der eigenwillige Mann, dessen Verlobte Selbstmord begangen hatte, der seinem Vater die Schuld an ihrem Tod gegeben und sich daraufhin verkrochen hatte, ohne ein Lebenszeichen zu hinterlassen. Er war Jasmins und Alexanders mittlerer Bruder.
Adrian.
Jasmin hatte all diese Dinge in einem einzigen Gespräch, viele Monate zuvor, nur angerissen.
Jetzt, wo er mit geneigtem Kopf dastand, etwa drei Meter vor ihr, erinnerte sich Anna an jedes Detail dieses Gesprächs, das eigentlich ein einziger langer Monolog ihrer Freundin gewesen war.
Jasmin saß auf der Kante ihres Bettes. Anna wunderte sich über ihre verweinten Augen. Sie wollten groß ausgehen, hatten sich in Schale geworfen, doch nun hockte Jasmin wie ein Häufchen Unglück vor ihr. Tränen hatten kleine, dunkle Rinnsale durch ihr ansonsten perfektes Make-up gezogen. Anna war verstört. Auf der Arbeit wirkte Jasmin immer so fröhlich.
»Was ist denn los, Jassi?«
Die Freundin schüttelte den Kopf. »Hab eben mit meiner Mutter telefoniert. Mein Bruder … wir wissen nicht, wo er ist.«
Anna schwieg. Meistens die beste Entscheidung, wenn man nicht wusste, was man sagen sollte. Es dauerte einige Sekunden, dann sprach Jasmin weiter: »Es gibt einen Grund, weshalb ich das Krankenhaus gewechselt habe, weißt du?« Anna schwieg weiter. »Mein Vater ist leitender Arzt der Notaufnahme in Köln. Er … vor …« Sie atmete tief durch, schien sich einen Ruck geben zu müssen. »Vor zwei Monaten wurde ein Notfall eingeliefert. Eine junge Frau, die sich mit einer Überdosis Kokain das Leben nehmen wollte. Na ja, eigentlich hatte sie es schon geschafft. Mein Vater hat alles versucht, doch er konnte nichts mehr für sie tun. Das Besondere an diesem Fall … es war die Verlobte meines Bruders.«
Anna zog die Augenbrauen hoch. Sie hatte Jasmins Bruder nur wenige Tage zuvor kennengelernt. Er hatte keinen erschütterten Eindruck auf sie gemacht. Ihre Freundin schüttelte den Kopf.
»
Nicht Alexander. Ich habe noch einen Bruder, der nur ein Jahr älter ist als ich. Adrian. Als Kinder waren wir unzertrennlich. Aber dann … Alexander und ich schlugen beide die medizinische Richtung ein. Adrian hatte immer schon diese musische und künstlerische Begabung. Meinem Vater gefiel das nicht. Sie haben viel gestritten. Dann lernte Adrian diese Frau kennen. Sie war drei Jahre älter als er und bestimmt nicht das, was man unter einem guten Umgang versteht. Sie rauchte viel. Nicht nur Tabak. Dann griff sie offenbar nach härteren Sachen, aber davon wussten wir nichts – bis zu ihrem Tod. Adrian erzählte mir mal im Vertrauen, dass sie unter schweren Depressionen litt und oft krankhaft eifersüchtig reagierte. Obwohl sie ihm eindeutig nicht guttat, verteidigte er vor unseren Eltern vehement die Beziehung zu ihr. Alex und mir kam es oft so vor, als würde er es aus reinem Trotz tun. Jedenfalls gab er irgendwann bekannt, dass sie sich verlobt hatten. Mein Vater ist fast geplatzt, es gab riesigen Zoff. Adrian war ja erst dreiundzwanzig. Er zog mit ihr nach Köln, und wir sahen uns nur noch sehr selten. Und plötzlich springt er mit aus dem Krankenwagen und steht kalkweiß auf dem Korridor der Notaufnahme. Als mein Vater ihm erklärte, dass es bereits zu spät gewesen war und er nichts mehr für Cora hatte tun können, schrie Adrian ihn an, er habe sie doch sowieso noch nie leiden können. Er wütete so heftig durch die Notaufnahme, dass mein Vater ihm eine Beruhigungsspritze geben ließ. Na ja … und an diesem Punkt kam ich ins Spiel. Ich sollte ihm mit Adrian helfen, aber ich weigerte mich.
«
Schuldbewusst sah Jasmin in Annas Augen. »Mein Vater meinte später, es sei dumm von ihm gewesen, mich da überhaupt mit reinzuziehen, aber dennoch – es war eine Leistungsverweigerung meinerseits. Ich beschloss, das Krankenhaus zu wechseln, und mein Vater sorgte für einen reibungslosen Ablauf. Deshalb bin ich jetzt hier.«
Anna nickte und strich
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