Neobooks - Hinter verborgenen Pfaden: Der geheime Schlüssel I (German Edition)
zurückbleiben.« Philip lachte.
»Es wäre nicht meine erste Narbe«, antwortete er fröhlich und zeigte ihm ein Mal am Finger, das von einem Schnitt mit dem Messer herrührte. Dann deutete er auf seine Knie, die von den zahlreichen Stürzen mit größeren und kleineren Narben verziert waren. Als er seinen Ärmel hochstreifte und das untere Ende eines langen Risses zum Vorschein kam, den er sich an einem Nagel im alten Turm zugezogen hatte, waren Leron’das' Augen vor Schreck weit aufgerissen.
Philip lachte. »Hast du keine Narben?«
Leron’das schüttelte den Kopf. »Ich wurde angeschossen, vor vierzehn Tagen, die roten Spuren dieser Wunde sind heute noch sichtbar, aber auch sie werden bald verblassen.«
Er deutete auf seine Brust.
Jetzt sah Philip ihn ungläubig an. »Du meinst, vor zwei Wochen hat dir jemand in die Brust geschossen und jetzt sitzt du da und pflegst mich gesund. Was seid ihr bloß für ein Volk?«
»Was seid ihr bloß für ein Volk?«, fragte Leron’das.
Sie sahen sich an und lachten.
»Wie alt bist du, Leron’das?«, fragte Philip.
»Siebenundneunzig Sommer.«
»Ist das alt?«, fragte Philip. Leron’das sah ihn prüfend an, so, als wollte er herausfinden, ob Philip diese Frage ernst meinte.
»Ich bin der Jüngste in Pal’dor«, antwortete er schlicht. Darauf fiel Philip gar nichts mehr ein. Siebenundneunzig Jahre waren mehr als so manches Menschenleben. Für Philip war das ein unglaubliches Alter, aber Leron’das saß neben ihm und wirkte kaum älter als er selbst. In Gedanken versunken brütete er vor sich hin und sah erst auf, als er plötzlich eine Schüssel mit einem dampfenden Brei unter die Nase gehalten bekam.
»Hast du Hunger?«
Er nickte.
»Darf ich dir noch eine Frage stellen?«, fragte er, während er darauf wartete, dass der Brei abkühlte.
Leron’das nickte.
»Warum bist du hier?«
»Ich suche Menschen«, antwortete Leron’das wortkarg.
»Jetzt?«, rief Philip. »Du weißt, dass der König einen Krieg gegen euch führen will?«
Abermals nickte Leron’das. »Ich habe davon gehört. Das macht meinen Auftrag umso wichtiger.«
»Wenn dich jemand entdeckt, bist du tot«, warnte Philip. In Leron’das' ungerührter Miene las er, dass ihm dies durchaus bewusst war.
»Suchst du jemand bestimmten? Ich mein, außer mir?«, fragte Philip weiter.
Leron’das grinste amüsiert.
»Tatsächlich suche ich noch andere, außer dir .«
Diese schalen Antworten erzeugten in Philips Gehirn eine wahre Flut an Fragen und auch eine Ungeduld, die jede Zurückhaltung zunichtemachte.
»Du hast auch nach Jar’jana gesucht?« Ihren Namen zu nennen versetzte ihm einen Stich.
Ein Nicken.
»Weiß man in Pal’dor von ihr?«
Noch ein Nicken.
»Und es gibt niemanden dort, dem etwas an ihrem Kind liegt?«, fragte Philip herausfordernd. Leron’das schwieg.
»Lume’tai«, begann er schließlich versonnen. »Jedem in Pal’dor liegt etwas an ihr. Sie wäre ein Stern und würde einem Himmelskörper gleich behandelt werden. Sternenglanz ist ihr Name, weißt du das? Sie lag in meinen Armen«, Leron’das hielt beide Arme hoch, als würde sie immer noch dort liegen. »Sie wollte nicht nach Pal’dor.«
Philip konnte mit all dem nichts anfangen und entgegnete ungehalten.
»Sie lag auch in meinen Armen, aber ich erinnere mich nicht daran, dass sie sprechen konnte. Sie ist ein Säugling, sie gehört zu ihrer Familie.«
Leron’das sah zu Boden. Seine Worte waren leise.
»Ihre Familie ist tot.«
»Es muss doch jemanden in der verdammten Stadt geben, der näher mit Lume’tai verwandt ist als meine Mutter. Hat sie keine Großmutter, einen Großvater, Tanten, Basen, sonst was.« Er schrie jetzt beinahe. »Sie bringt meine ganze Familie in Gefahr. Verstehst du das nicht? Wenn jemand herausfindet, was sie ist, wird meine Familie vernichtet.« Philip versuchte, ruhig zu werden, und atmete tief durch. »Bring sie nach Pal’dor. Bitte!«
Leron’das sah ihn ernst an, ehe er antwortete.
»Sie hat einen Auftrag bei euch Menschen«, sagte er sanft. Philip wollte bereits protestieren, aber Leron’das brachte ihn mit einer einzigen Handbewegung zum Schweigen. »Sie ist ein Säugling, ich weiß, aber sie lag …«
»In meinen Armen …«, äffte Philip ihn nach.
»Genau, und ich konnte spüren, dass sie zufrieden war. Du weißt noch, was ich dir gestern über deine Mutter sagte?«
Philip nickte.
»Sie wird sie behüten. Keinem wird etwas geschehen.«
»Und meine Brüder, mein Vater?«,
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