Neobooks - Hinter verborgenen Pfaden: Der geheime Schlüssel I (German Edition)
einen atemberaubenden Blick auf die Stadt.
Das war jedoch nicht der Grund, warum Josua und sein Freund Lennart sich hierher zurückgezogen hatten.
Für die beiden Siebenjährigen bedeutete der Turm ein sicheres Versteck, wo sie ungestört waren. Die unterste Stufe war hoch genug, so dass Jaris und Jaden sie nicht erreichen konnten, und Lennarts Schwestern machten um den Turm einen großen Bogen, seit sie gehört hatten, dass es darin spukte.
Philip schwang sich auf die unterste Stufe des Turmes und kletterte die bröckelnden Treppen nach oben. Er entdeckte Josua und Lennart im alten Wächterhäuschen, wo sie völlig versunken waren in ihr Spiel mit Holztieren und Rittern.
»Was los?«, fragte Lennart.
Josua antwortete an Philips Stelle. »Mutter ist bei einer Frau, die ein Kind bekommt, und Philip schaut bloß, wo ich bin«, erklärte er in altklugem Ton.
»Genau so ist es«, schmunzelte Philip. »Sieh zu, dass du pünktlich zum Abendessen zu Hause bist«, forderte er seinen Bruder dann in strengerem Ton auf und trat den Rückweg an, vorbei an dem alten Kirschbaum, der unweit des Turms auf dem Platz vor der Kirche stand. Dass er noch nicht leergeplündert war, lag einzig und allein an seiner stattlichen Größe. Philip beschloss, sich mit den Zwillingen ein paar Kirschen zu holen.
Als er dort ankam, erreichte sein Bruder Jacob gerade den untersten Ast des Kirschbaums und schwang sich hoch, während Johann bereits in einer höhergelegenen Astgabel saß und nach Kirschen angelte. Unter dem Baum standen ihre Freunde und feuerten sie an.
»Was sagst du dazu?«, rief Johann stolz.
»Toll«, knurrte Philip. »Jetzt werde ich wohl nie mehr rechtzeitig hier sein, um auch nur eine Kirsche abzubekommen.«
»Eine kann ich dir schon mitbringen«, gab Jacob grinsend zurück.
Philip sah hoch zu Johann.
»Wirf deinen kleinen Brüdern mal ein paar von den Kirschen ’runter.«
»Wir sind nicht klein!«, brüllten die Zwillinge im Chor.
»Dann klettert doch selber hier hoch, ihr Zwerge.«
Das brauchte Johann nicht zweimal sagen, denn schon versuchte Jaris sich am Baumstamm hochzuziehen, während Jaden von unten kräftig schob.
»Ihr seid mutig, das muss belohnt werden«, beschloss Jacob, hangelte sich noch ein paar Äste weiter nach oben und zupfte für jeden seiner kleinen Brüder eine Handvoll Kirschen ab.
Doch statt auch Philip ein paar Kirschen zuzuwerfen, stopfte er alle weiteren Kirschen, die er pflückte, sofort in sich hinein. Das Wasser lief Philip im Mund zusammen.
Wenn er Kirschen wollte, musste er sie sich selbst holen. Er sprang, griff den untersten Ast des Baumes und zog sich an ihm hoch. Eichhörnchenflink stieg er den sonnenreifen Köstlichkeiten entgegen, pflückte sich so viele wie möglich in den Mund und verstaute einige in seinem Hemd, ehe er vom Baum heruntersprang.
»So ihr beiden«, rief er seinen kleinen Brüdern zu, »jetzt geht’s ab nach Hause.«
Jaris maulte, Jaden jammerte, bis Philip versprach, eine Geschichte von den Waldfeen zu erzählen.
Jeder in der Stadt kannte Geschichten über den Alten Wald und alle möglichen darin hausenden Lebewesen. Fast täglich kamen neue Geschichten hinzu. In letzter Zeit wurde sogar gemunkelt, dass sich Menschen auf der Flucht vor den Häschern des Königs im Wald versteckten. Ohne triftigen Grund traute sich kaum einer, allzu tief in den Wald hineinzugehen. Zu viele waren nicht wieder zurückgekommen, und Gründe dafür gab es so viele wie Menschen, die davon erzählten.
Philip liebte genau wie seine Brüder am meisten die Geschichten über die Feen, die auch Elben genannt wurden. Dieses alte Volk sollte hier in Ardelan gelebt haben, ehe die Menschen das Land für sich beanspruchten. Es gab viele Geschichten, die erzählten, dass das Volk der Elben seither ein Dasein im Verborgenen führte. Und welcher Ort wäre geeigneter dafür als der Alte Wald.
Seine Gedanken schweiften zu dem Buch, das gut versteckt auf dem Dachboden wartete. Lehrer Theophil hatte es ihm geliehen. Gleichzeitig hatte er ihm aber eingeschärft, dass niemand dieses Buch sehen durfte. Es handelte von den Elben und von einer Stadt im Wald. Auch wenn der Schreiber behauptete, das Buch beruhe auf Tatsachen – Philip fiel es schwer, das zu glauben. Er hatte schon einige Bücher von Theophil ausgeliehen, daher wusste er, dass es einige wagemutige Menschen gegeben hatte, die schon den gesamten Wald durchwandert hatten, aber noch nie war jemand auch nur auf die kleinste Spur einer
Weitere Kostenlose Bücher