Neonazis in Nadelstreifen
Zeichen. »Nach mehr als zweieinhalbjährigem Kampf vor deutschen Gerichten bleibt die Odalrune der HDJ verwehrt«, klagte Bundesführer Räbiger. Zweideutig prophezeite er jedoch seiner Gefolgschaft im »Funkenflug« Anfang 2006 : »Und eines Tages wird sie wieder schwarz, mit weißem Saum auf blutrotem Tuche über uns wehen« – eine Beschreibung, die auch auf die Hakenkreuzfahne zutrifft.
Aber anders als der historische Vorläufer Hitlerjugend zielt die HDJ nicht darauf ab, zur nationalistischen Massenorganisation zu werden, denn die HDJ -Ideologen bekräftigen immer wieder den elitären Charakter ihrer Gruppe. Diese Strategie kommt nicht von ungefähr. Ein Blick auf die heutige Riege von Neonazi-Führern aus NPD und Kameradschaftsspektrum verrät: Die meisten von ihnen haben in der Vergangenheit die militante Schule der Wiking-Jugend durchlaufen – und die war elitär geprägt.
Tatsächlich erinnern Ablauf und Angebote auf dem HDJ -Pfingstlager in Eschede an ehemalige Treffen der Wiking-Jugend. Bis zu ihrem Verbot richtete die WJ Lager mit Fahnenappell, Märschen und Wehrsportübungen im nur rund 20 Kilometer entfernten Hetendorf am Rande der Heide aus. Solche Erinnerungen will die HDJ offiziell nicht wecken, steht doch in der Verbots v erfügung des Bundesinnenministeriums ausdrücklich: »Es ist verboten, Ersatzorganisationen für die Wiking-Jugend zu bilden.«
Die Wiking-Jugend galt bis zum 10 . November 1994 mit rund 500 Mitgliedern und Sympathisanten nicht nur als größte Neonazi-Organisation seit Kriegsende, sondern auch als eine der militantesten Gruppierungen im extrem rechten Lager überhaupt. Zum Zeitpunkt ihres Verbotes, 42 Jahre nach der Gründung, existierten bereits zwölf sogenannte Gaue – besonders aktiv waren die in Sachsen und in Schwaben. 90 Prozent der Anhänger sollen unter 18 Jahre alt gewesen sein. Der Satzung entsprechend sollten die »Jungen- und Mädelarbeit« grundsätzlich getrennt gestaltet werden. »Mädchen zu uns!«, hieß es in einer Werbeanzeige der Wiking-Jugend. »Statt Disco und Langeweile: Zelten, Sport, Spaß, Singen, Volkstanz, Lagerfeuer und, und, und … – Hinein in die Wiking-Jugend e.V.« Die Wiking-Jugend galt als hierarchisch straff strukturiert, letzter Bundesführer war der heute der NPD nahestehende Rechtsanwalt Wolfram Nahrath aus Birkenwerder bei Berlin. Unter der jahrzehntelangen Führung seines Familienclans sollte die WJ zu einer völkischen Lebensgemeinschaft heranreifen. Die Erziehung zu kämpferischer Härte begleitete deren Anhänger lebenslang, sie begann im Sandkasten und endete im Greisenalter. Erklärtes Ziel war die »Wiederbelebung von Elitegeist und Volksgemeinschaft«. Eine Art Sozialsystem auf völkischer Grundlage, unter Annahme eines Elite-Charakters der »nordischen Rasse«, wurde anvisiert. Nach eigenen Angaben seien 15 000 Kinder und Jugendliche durch die Schule der Organisation gegangen. Vereinsmitglied konnte werden, wer sich »zu Idee und Gestalt der WJ bekennt«. Gerade die Anerkennung dieses Glaubensbekenntnisses fand später in der Verbotsverfügung besondere Erwähnung: »Die in der WJ zusammengeschlossenen Personen haben sich einer organisierten Willensbildung unterworfen, da sie durch den Erwerb ihrer Mitgliedschaft die Satzung der WJ anerkannt haben.« Die Ideologie der WJ orientierte sich am Vorbild der Hitlerjugend.
In der Begründung des Verbotes durch das Bundesinnenministerium wurde insbesondere auf die »Wesensverwandtschaft« mit NSDAP und Hitlerjugend eingegangen. Außerdem hieß es: »Die WJ verfolgt das Ziel, mit ihrer Tätigkeit die verfassungsmäßige Ordnung fortlaufend zu untergraben und letztendlich zu beseitigen.« Auch mit den Vorbereitungen zum bewaffneten Kampf schien die Wiking-Jugend schon »weit gekommen« zu sein. Kurz vor dem Aus durch den Erlass von Bundesinnenminister Manfred Kanther urteilte ein Ermittler des Bundeskriminalamtes: »Das ist eine der Kampfeinheiten, denen nur noch der Startschuss fehlt.« Wiederholt waren bei Mitgliedern der seit 1952 aktiven Gruppierung scharfe Waffen, Munition und Sprengstoff sichergestellt worden. Beim Sammeln von Militärgerät hatten es die überwiegend jugendlichen Fanatiker nicht belassen: In Sommer- und Winterlagern wurde mit den Waffen geübt. Im Mittelpunkt dieser militärischen Ausbildung stand lange Zeit das »Schulungszentrum Hetendorf«, eine neonazistische Tagungsstätte am Rande der Lüneburger Heide, betrieben vom Hamburger Neonazi-Anwalt Jürgen
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