Neonazis in Nadelstreifen
der HDJ . Ihre elf und neun Jahre alten Söhne durften im »Funkenflug« über einen Ausflug ihrer Einheit Preußen ins Technik- und Verkehrsmuseum Berlin-Kreuzberg berichten. Den Kindern wurde auch die Sonderausstellung zu Reinhard Heydrich, Chef im Reichssicherheitshauptamt, gezeigt. Heydrich, einer von Hitlers schlimmsten Schergen, starb 1942 bei einem Attentat durch tschechische Partisanen. Kritische Distanz zu NS -Größen erfahren die HDJ -Kinder nicht, deshalb schrieben sie brav zur NS -Ausstellung: »Hier beeindruckten uns die Uniformen, ein Originalwagen und vor allem Schachfiguren, die aus Brotteig gefertigt waren.« Holles Bruder Ragnar Böhm gehörte der Skinhead-Szene an und betreibt seit Jahren in Schleswig-Holstein einen Bekleidungsladen, der als Treffpunkt der rechten Szene gilt.
Für die HDJ sind Familiengemeinschaften, sogenannte Sippen, ein zentrales Element. Ähnlich wie bei der verbotenen Wiking-Jugend, warnt das Berliner Landesamt für Verfassungsschutz, ziele das Lebensbund-Konzept der HDJ darauf ab, ein »neonazistisches lebensweltliches Freizeitangebot für die ganze Familie« zu bieten. Die Familie ist nach völkischen Vorstellungen von Gemeinschaft die kleinste Einheit von Personen. Die Partnerwahl findet oft innerhalb der Gemeinschaft der HDJ statt. Der »Gedanke der Familiengemeinschaft« wird an einigen »Sippen« in der Organisation deutlich. Diese engagieren sich seit Generationen in der völkischen Jugendarbeit, sei es im BHJ , der Wiking-Jugend oder in der HDJ . Ähnlich wie die Böhms bringen sich auch die Familienverbände Nahrath (Stolberg), Börm (Lüneburg), Berg (Toppenstedt) oder Ulrich (Detmold) generationsübergreifend in die rechte Szene ein. »Manche Ehepaare sind schon als Kinder gemeinsam auf Fahrt und Zeltlager gefahren. Eltern, die früher selbst einmal bei uns gewesen sind, schicken heute ihre Kinder auf unsere Lager«, prahlt die HDJ auf ihren Internetseiten. So wuchs und wachse die »volkstreue Familie in Deutschland seit Generationen«.
Rechtsextremismus-Experte Gideon Botsch, Politikwissenschaftler am Moses-Mendelssohn-Zentrum in Potsdam, vermutet, dass viele Kinder wegen ihrer Eltern – auf deren Druck und im Widerspruch zu ihren eigenen Wünschen – in diesen Verband eintreten. Denn trotz nahezu geschlossener brauner Parallelwelt sind viele junge HDJ ler nebenher noch im vorpolitischen gesellschaftlichen Leben integriert. Sie sind häufig Mitglied in Fußballclubs oder Kampfsportvereinen. Experten befürchten über diese Kontakte aber auch eine mögliche rechte Infiltration der betroffenen Vereine.
Beruflich sind die Neonazis der HDJ eher im Mittelstand anzutreffen; sie arbeiten als Handwerker, Ingenieure oder Rechtsanwälte, viele Frauen in sozialen Berufen als Altenpflegerin oder Erzieherin. Dennoch gewinnt die Außenwelt kaum Einblick in die internen Strukturen der HDJ , die Neonazi-Organisation schottet sich sektenähnlich ab. »Die HDJ lässt sich am ehesten als ein Familienclub verstehen, der den Nationalsozialismus als einen geschlossenen lebensweltlichen Komplex organisiert«, beschreibt Michael Weiß vom Antifaschistischen Pressearchiv in Berlin das rechte Phänomen. Die HDJ ermahnt dabei national denkende Eltern, nicht zuzulassen, dass »linke Pädagogen« und Massenmedien mehr und mehr »zu Ersatzeltern in diesem Staat« würden. Selbstbewusst wollen die Neonazi-Erzieher mit scheinbarer Lagerfeuerromantik ihr revisionistisches Weltbild dagegensetzen. In einer Fotoanzeige mit einem Jungen in Uniform heißt es im »Funkenflug« selbstgerecht: »Seine Mitschüler lernen in Erdkunde gerade die 16 Bundesländer« – »Er hat sie nicht nur auf zahlreichen Lagern und Fahrten bereist, sondern kennt sich auch in Ostpreußen, Pommern und Schlesien ganz gut aus.«
HDJ -Anhängern gelingt es immer wieder, auf kommunale Einrichtungen wie Jugendherbergen, Selbstversorgerhäuser oder Grillhütten für ihre politischen Zwecke zurückzugreifen. Oft melden sie sich als harmlose Pfadfindergruppe an. Sehr aktiv sind zurzeit die HDJ -Gruppen in Mecklenburg und in Vorpommern, in Brandenburg, Hessen und seit neuestem in Sachsen. Bisher hinterfragten auffällig wenige Verpächter von Unterkünften und Grundstücken den militärischen Hintergrund der »Heldengedenken« für deutsche Soldaten, Leistungsmärsche mit Gepäck oder Morgenandachten mit Antreten und Strammstehen von Kindern. Ansonsten hätten Polizei und Behörden sicherlich eher von den bundesweiten
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