Neonazis in Nadelstreifen
Rieger. Bis zu 300 Jungnazis marschierten damals uniformiert auf das nahegelegene Bundeswehrgelände des Truppenübungsplatzes Munster. Mit »Gewalt-« und »Orientierungsmärschen« wurde den Acht- bis 20 -Jährigen das Heranschleichen an Feinde, der Handgranatenweitwurf und nach Augenzeugenberichten auch das Schießen beigebracht.
Jugendliche, Jungen und Mädchen, hatten bis zum vollendeten 15 . Lebensjahr ein Leistungsabzeichen, die »Wikingprobe«, zu absolvieren. Zu deren Anforderungen gehörte »eine Mutprobe, die Teilnahme an einer Wochenendfahrt, Kenntnis des Leitwortes, der Nationalhymne, des Fahnenliedes der Wiking-Jugend und der gewaltsam abgetrennten Teile des Deutschen Reiches, vorschriftsmäßiges Packen eines Tornisters oder Wanderrucksackes, Führen eines Telefongespräches und die Beantwortung der Frage über den Sinn eines bestimmten Verkehrszeichens«. Nicht alle Jugendlichen waren diesen Anforderungen gewachsen oder kamen mit dem Gruppenzwang zurecht. Für sie verursachte gerade die »Wikingprobe« Versagensangst. Karin Schmidt [Name geändert] aus Hessen erinnert sich heute nur noch ungern an ihre Zeit in den Lagern der Wiking-Jugend. In den 70 er Jahren hatte sie während eines Sommerlagers in Belgien nicht nur theoretische Prüfungen abzulegen, sondern musste auch die Mutprobe bestehen. Die bestand darin, dass sich die Jugendlichen per Seilwinde, »vollkommen ungesichert, über eine etwa zehn Meter tiefe, riesige Baugrube hangeln mussten«. Karin Schmidt bekam bereits einen Tag vorher Bauchkrämpfe und musste die Übung nachholen. »Ich hatte Todesangst«, gesteht sie heute, »aber es gab keine Wahl, jedes Mädchen musste mitmachen, wir wurden gar nicht gefragt«.
An solchen Lagern nahmen auch heute führende NPD -Funktionäre wie Udo Pastörs und Stefan Köster, beide NPD -Abgeordnete im Schweriner Landtag, teil. Zu den Referenten politischer Schulungsveranstaltungen zählten damals zahlreiche Altnazis und ehemalige SS -Angehörige wie Gertrud Herr, Lisbeth Grolitsch oder Herbert Schweiger und Sepp Biber. Die Wiking-Jugend arbeitete eng mit anderen als verfassungsfeindlich geltenden Organisationen wie dem Freundeskreis Ulrich Hutten e.V. oder der mitgliederstarken Kulturorganisation Gesellschaft für freie Publizistik zusammen, die bis vor kurzem vom ehemaligen Waldorflehrer Andreas Molau aus Groß Denkte bei Wolfenbüttel angeführt wurde. Es bestanden immer schon personelle Verflechtungen zwischen Wiking-Jugend und NPD . »Viele der WJ -Anhänger waren eng mit der NPD verbunden«, bestätigt auch die ehemalige Unterführerin Karin Schmidt. Ihre Eltern waren ebenfalls in der Partei aktiv. Sie wurde von deren Kameraden als 13 -Jährige direkt angeworben. Nach dem Verbot der Wiking-Jugend galten die NPD und ihre Jugendorganisation, die Jungen Nationaldemokraten, als politisches Auffangbecken für junge militante Nationalsozialisten.
Das Aus der Organisation bedeutete nicht das politische Ende der Wiking-Jünger. Zu den letzten »Gauführern« der WJ gehörten Manfred Börm aus Lüneburg, Sascha Stein aus Berlin, Dirk Nahrath aus Franken und Gerd Ulrich aus Detmold – sie sind alle wieder an führender Stelle in der Heimattreuen Deutschen Jugend aktiv. Wolfram Nahrath dagegen wird in HDJ -Publikationen nur vorsichtig als »unser Anwalt« tituliert. Kenner der Szene zählen ihn aber zu den einflussreichsten Unterstützern der heute aktiven Neonazi-Organisation.
Als das Bundesinnenministerium im Zuge eines seit dem Sommer 2008 existierenden vereinsrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen die HDJ im Oktober bei 88 Anhängern aus dem Umfeld Hausdurchsuchungen durchführte, war auch Nahrath unter den von der Polizei aufgesuchten Personen. Der Berliner »Tagesspiegel« wusste am 16 . Oktober über »belastendes Material« zu berichten, demnach seien die Sicherheitsbehörden auf Beweise dafür gestoßen, dass der Verein doch eine Nachfolgeorganisation der Wiking-Jugend sein könnte. Bei der Aktion wurden rund 100 PC s und 50 Handys beschlagnahmt, nach Angaben der Ermittler müssten 16 Terrabyte Daten ausgewertet werden. Im November 2008 reichte dann die Regierungskoalition im Bundestag einen Verbotsantrag gegen den Neonazi-Verein ein. Darin wird festgestellt: »Die HDJ lehnt unsere freiheitlich demokratische Grundordnung strikt ab.«
HDJ -Bundesführer Sebastian Räbiger, der bis zum Verbot der WJ den »Gau Sachsen« leitete, zeigt an diesem nebelverhangenen Pfingstwochenende im niedersächsischen
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